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Die tausend Herbste des Jacob de Zoet

Die tausend Herbste des Jacob de Zoet

Titel: Die tausend Herbste des Jacob de Zoet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Mitchell
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eintreibt, verbeugen sich auf Männerart. Uzaemon begrüßt die drei Söhne der Nabeshimas, alle etwa in seinem Alter und in der Amtsstube ihres Vaters tätig.
    «Wie im Flug», seufzt die Matriarchin, «und gleich zwei neue Enkelsöhne ...»
    Uzaemon sieht seine Frau an, die vor Scham vergeht.
    «Darf ich Ihnen unsere aufrichtigsten Glückwünsche aussprechen?», sagt seine Mutter.
    «Immer wieder sage ich zu meinen Schwiegertöchtern», schnaubt Frau Nabeshima, «‹Nicht so schnell: Das ist kein Wettrennen.› Aber die jungen Leute heutzutage wollen einfach nicht hören, ist es nicht so? Jetzt glaubt die Mittlere, dass schon wieder eines unterwegs ist. Unter uns gesagt», sie beugt sich zu Uzaemons Mutter vor, «ich war zu nachsichtig, als sie ins Haus kamen. Und jetzt laufen sie Amok. Ihr drei! Wo bleiben eure Manieren? Schämt euch!» Sie zieht ihre Schwiegertöchter, alle gekleidet in einen winterlichen Kimono mit geschmackvollem Gürtel, einen Schritt nach vorne. «Hätte ich meiner Schwiegermutter so zugesetzt, wie diese drei Quälgeister mir zusetzen, man hätte mich mit Schimpf und Schande ins Haus meiner Eltern zurückgeschickt.» Die drei jungen Frauen blicken zu Boden, während Uzaemon ihre Kinder betrachtet, die an der Seite in den Armen ihrer Ammen liegen. Schauerliche Bilder stürmen auf ihn ein, wie so oft seit dem Besuch der Kräuterheilerin aus Kurozane: Er sieht Orito, die eine Gabe empfängt, und die Meister, die die Gaben der Göttin neun Monate später ‹verspeisen›. Immer wieder gehen ihm dieselben Fragen durch den Kopf. Wie töten sie die Neugeborenen wirklich? Wie halten sie das vor den Müttern, vor der Welt geheim? Wie können Menschen tatsächlich glauben, dass man durch eine so sittenlose Tat den Tod überlisten kann? Wie können sie einfach so ihr Gewissen abschneiden?
    «Wie ich sehe, ist Ihre Frau - Okinu-san, nicht wahr?», sagt Frau Nabeshima mit unschuldigem Lächeln und listigem Blick, «besser erzogen als alle meine Schwiegertöchter zusammen. Wir ...», sie klopft sich auf den Bauch, «... sind noch nicht gesegnet, oder?»
    Okinus Schminke verbirgt ihr Erröten, aber ihre Wangen zittern leicht.
    «Mein Sohn tut seine Pflicht», erklärt Uzaemons Mutter, «aber sie ist so gedankenlos.»
    Frau Nabeshima schüttelt ungläubig den Kopf. «Haben wir uns denn gut in Nagasaki eingelebt?»
    «Die Heulsuse», sagt Uzaemons Mutter, «sehnt sich immer noch zurück nach Shimonoseki.»
    «Vielleicht liegt es am Heimweh.» Die Matriarchin klopft sich wieder auf den Bauch.
    Uzaemon will seine Frau verteidigen, aber wie kämpft man gegen eine geschminkte Schlammlawine?
    «Ob Ihr Gatte», fragt Frau Nabeshima Uzaemons Mutter, «Sie und Okinu-san wohl heute Nachmittag entbehren könnte? Wir halten bei uns eine kleine Feier ab, und für Ihre Schwiegertöchter können ein paar Ratschläge von Müttern ihres Alters sicher nützlich sein. Aber - ach!» Sie starrt Ogawa den Älteren mit bestürzter Miene an. «Bei dem Gesundheitszustand Ihres Gatten muss eine so kurzfristige Einladung ja eine Zumutung für Sie sein ...»
    «Der Gesundheitszustand ihres Gatten», unterbricht sie der alte Mann, «ist ausgezeichnet. Ihr beide ...», er wirft seiner Frau und seiner Schwiegertochter einen höhnischen Blick zu, «... könnt tun, was ihr wollt. Ich werde für Hisanobu Sutras verlesen lassen.»
    «Ein so frommer Vater.» Frau Nabeshima schüttelt den Kopf. «Ein Vorbild für die heutige Jugend. Dann darf ich mit Ihnen rechnen, Frau Ogawa? Kommen Sie nach dem Bild-Treten zu ...» Sie unterbricht den Satz und wendet sich an eine der Ammen. «Jetzt beruhige doch endlich das kreischende Ferkel! Weißt du nicht, wo wir hier sind? Schäm dich!»
    Die Amme wendet sich ab, entblößt die Brust und stillt das Kind.
    Uzaemon wirft rasch einen Blick auf die Warteschlange vor der Galerie und versucht abzuschätzen, wie lange es wohl dauern wird.
     
    Die buddhistische Gottheit Fudō Myōō blickt grimmig aus seinem kerzenbeleuchteten Schrein: Sein Zorn, hat Uzaemon gelernt, jagt den Ungläubigen Angst ein, sein Schwert zerschneidet ihre Dummheit, die Schlinge fesselt Dämonen, sein drittes Auge schaut in die Herzen der Menschen, und der Stein, auf dem er steht, symbolisiert seine Unerschütterlichkeit. Vor der Gottheit sitzen sechs in zeremonielle Gewänder gekleidete Beamte der Behörde für reine Gesinnung.
    Der erste Beamte fragt Uzaemons Vater: «Nennen Sie bitte Namen und Stellung.»
    «Ogawa Mimasaku,

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