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Die tausend Herbste des Jacob de Zoet

Die tausend Herbste des Jacob de Zoet

Titel: Die tausend Herbste des Jacob de Zoet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Mitchell
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Dolmetscher ersten Ranges auf Dejima, Oberhaupt des Hauses Ogawa im Bezirk Higashizaka.»
    Der erste Beamte sagt zum zweiten: «Ogawa Mimasaku ist anwesend.»
    Der zweite sucht den Namen auf einer Liste. «Ogawa Mimasaku ist eingetragen.»
    Der dritte Beamte schreibt den Namen auf. «Ogawa Mimasaku als anwesend verzeichnet.»
    Der vierte sagt: «Ogawa Mimasaku wird nun das Fumie ausführen.»
    Ogawa Mimasaku tritt auf die Platte mit dem Bronzerelief Jesu Christi und drückt die Ferse in die Götzenfigur.
    Ein fünfter Beamter ruft: «Ogawa Mimasaku hat das Fumie ausgeführt.»
    Der Dolmetscher ersten Ranges tritt von der Platte und setzt sich, gestützt von Kiyoshichi, auf eine niedrige Bank. Uzaemon vermutet, dass seine Schmerzen stärker sind, als er zugibt.
    Der sechste Beamte macht einen Vermerk auf seiner Liste. «Die Ausführung des Fumie durch Ogawa Mimasaku ist verzeichnet.»
    Uzaemon denkt an das Psalmenbuch des Ausländers de Zoet und daran, in welcher Gefahr er selbst sich befand, als Kobayashi die Wohnung des Niederländers durchsuchen ließ. Er wünscht sich, er hätte de Zoet im vergangenen Sommer zu seiner geheimnisvollen Religion befragt.
    Aus einer benachbarten Halle, in der das Ritual vom Volk vollzogen wird, dringt Festlärm.
    Der erste Beamte spricht ihn an: «Nennen Sie bitte Namen und Stellung ...»
    Als die Formalitäten erledigt sind, tritt Uzaemon auf das Bronzerelief. Er senkt den Blick und sieht in die schmerzerfüllten Augen des fremdländischen Gottes. Er drückt den Fuß in die Platte und denkt an die lange Reihe von Ogawas aus Nagasaki, die schon auf diesem Bild gestanden haben. Früher war Uzaemon an Neujahrstagen stolz darauf, der Letzte in dieser langen Reihe zu sein: Sicher war er nicht der einzige Adoptivsohn in der Familiengeschichte. Aber heute kommt er sich vor wie ein Verräter, und er weiß auch, warum.
    Meine Ergebenheit gegenüber Orito , denkt er, ist größer als meine Ergebenheit gegenüber den Ogawas.
    Er spürt das Gesicht von Jesus Christus unter den Füßen.
    Ich werde sie befreien , schwört er, um jeden Preis. Aber ich brauche Hilfe.

    Die Schreie der beiden Schwertkämpfer und das Krachen ihrer Bambusstöcke hallen von den Wänden des Dōjō wider. Angriff, Abwehr, Gegenangriff, Zurückweichen, Angriff, Abwehr, Gegenangriff, Zurückweichen. Der Schwingboden knarrt unter den nackten Füßen. Regenwasser tropft von der Decke in aufgestellte Eimer, die von Shuzais letztem verbliebenem Schüler ausgewechselt werden, wenn sie vollgelaufen sind. Der Übungskampf geht prompt zu Ende, als der kleinere Kämpfer seinen Gegner am rechten Ellbogen trifft, worauf dieser den Stock fallen lässt. Der Sieger schiebt besorgt die Maske hoch. Ein zerfurchter Mann Ende vierzig mit platter Nase und wachsamen Augen kommt zum Vorschein. «Ist er gebrochen?»
    «Ich bin selber schuld.» Uzaemon fasst sich an den schmerzenden Arm.
    Yohei eilt herbei und hilft dem Meister, die Maske abzunehmen.
    Anders als bei seinem Lehrer ist Uzaemons Gesicht schweißüberströmt. «Es ist nichts gebrochen ... schau.» Er beugt den Arm und streckt ihn wieder. «Nur ein wohlverdienter blauer Fleck.»
    «Es ist zu dunkel. Ich hätte ein paar Lampen anzünden sollen.»
    «Shuzai-san darf nicht meinetwegen Öl verschwenden. Wir sollten für heute Schluss machen.»
    «Ich hoffe, ich muss dein großzügiges Geschenk nicht alleine trinken?»
    «An einem so glücklichen Tag hast du doch sicher viele Verpflichtungen ...»
    Shuzai blickt sich in der leeren Übungshalle um und zuckt die Achseln.
    «Dann», der Dolmetscher verbeugt sich, «nehme ich deine höfliche Einladung gerne an.»
    Shuzai weist seinen Schüler an, in der Privatwohnung Feuer zu machen. Während die Männer sich umziehen, unterhalten sie sich über die Beförderungen und Degradierungen, die Statthalter Ōmatsu zum neuen Jahr bekanntgegeben hat. Als sie hinauf in die Wohnung gehen, erinnert sich Uzaemon an die Zeit, als er mit dem Unterricht bei Shuzai anfing: Mindestens zehn junge Schüler wohnten und lernten damals hier und wurden von zwei älteren Damen aus der Nachbarschaft bemuttert. Jetzt ist es in den Räumen kalt und still, aber als das Feuer richtig brennt, wechseln die Männer in den Tosa-Dialekt ihrer Heimat, und ihre zehnjährige Bekanntschaft verleiht Uzaemon ein warmes Gefühl.
    Shuzais Schüler füllt eine angestoßene Keramikflasche mit heißem Sake, verbeugt sich und verlässt den Raum.
    Jetzt, denkt sich Uzaemon, ist der

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