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Die tausend Herbste des Jacob de Zoet

Die tausend Herbste des Jacob de Zoet

Titel: Die tausend Herbste des Jacob de Zoet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Mitchell
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verlassen, wenn ich nein sage?»
    «Die Göttin erwählt die Gabenspender, so wie sie uns Schwestern erwählt.»
    Menschen einen Glauben einzupflanzen , denkt Orito, heißt, sie zu beherrschen.
    «Bei meiner ersten Gabenspende», bekennt Yayoi, «stellte ich mir einen Jungen vor, den ich einmal geliebt habe.»
    Die Kapuzen , erkennt Orito, sind nicht dazu da, unsere Gesichter zu verbergen, sondern die der Männer!
    «Hätte es denn einen Mann gegeben», Yayoi zögert, «den du ...»
    Ogawa Uzaemon, denkt die Hebamme, geht mich nichts mehr an.
    Orito verdrängt alle Gedanken an Jacob de Zoet und denkt doch an ihn.
    «Ach», sagt Yayoi, «ich bin genauso neugierig wie vorhin Hashihime. Beachte mich einfach nicht.»
    Aber die Jüngste Schwester verlässt das warme Bett, geht zu der Kommode, die sie von der Äbtissin bekommen hat, und nimmt einen Fächer aus Bambus und Papier heraus. Yayoi setzt sich gespannt auf. Orito zündet eine Kerze an und schlägt den Fächer auf.

    Yayoi betrachtet ihn. «War er Künstler? Oder ein Gelehrter?»
    «Er las Bücher, aber er arbeitete in einem gewöhnlichen Speicher.»
    «Er hat dich geliebt.» Yayoi berührt die Streben. «Er hat dich geliebt.»
    «Er war ein Fremder aus einem anderen ... Lehen. Er kannte mich kaum.»
    Yayoi sieht Orito mitleidig an und seufzt. «Und?»

    Die Schlafende weiß, dass sie schläft, weil die mondgraue Katze sagt: «Irgendwer hat diesen Fisch den weiten Weg hierherauf getragen.» Die Katze nimmt die Sardine, springt in den Innenhof und verschwindet unter dem Laufgang. Die Träumerin kniet sich hin, aber die Katze ist verschwunden. Sie sieht eine schmale, rechteckige Öffnung im Fundament ...
    ... Warmer Atem strömt ihr entgegen. Sie hört Kinder und Sommerinsekten.
    Eine Stimme auf dem Gehweg fragt: «Hat die Jüngste Schwester etwas verloren?»
    Die mondgraue Katze leckt sich die Pfoten und spricht mit der Stimme ihres Vaters.
    «Ich weiß, dass du ein Bote bist», sagt die Träumerin, «aber wie lautet deine Botschaft?»
    Die Katze sieht sie mitleidig an und seufzt. «Ich bin in der Öffnung unter uns verschwunden ...»
    Das dunkle Universum steckt in einer kleinen Kiste, die sich langsam öffnet.
    «... und kurz darauf durch die Klosterpforte gehuscht. Was sagt dir das?»
    Die Schlafende erwacht in bereifter Finsternis. Yayoi liegt neben ihr und schläft.
    Orito grübelt, brütet, rätselt und begreift. Ein Kanal ... oder ein Tunnel.

[Menü]
    XX

    Die zweihundert Stufen zum Ryūgaji-Tempel in Nagasaki

    Neujahrstag, zwölftes Jahr der Kansei-Zeit
     
    Die Menschenmenge drängelt und rempelt. Unter einer Pinie verkaufen Jungen Grasmücken aus Käfigen, die an den Ästen baumeln. Eine Großmutter mit lahmer Hand krächzt hinter ihrer rauchenden Grillplatte: «Tiiiintenfische am Spieeeß, Tiiiintenfische am Spieeeß, kauft Tintenfische am Spieeeß!» In seiner Sänfte hört Uzaemon, wie Kiyoshichi ruft: «Aus dem Weg, aus dem Weg!», nicht, weil er hofft, dass die Leute Platz machen, sondern damit Ogawa der Ältere ihn nicht als Faulpelz beschimpft. «Erstaunliche Bilder, unglaubliche Zeichnungen!», brüllt ein Holzschnittverkäufer. Sein Kopf taucht vor dem Sänftenfenster auf, und er zeigt Uzaemon die pornographische Darstellung eines nackten Kobolds, der eine unverkennbare Ähnlichkeit mit Melchior van Cleef aufweist. Der riesenhafte Phallus ist genauso groß wie der Körper. «Dürfte ich dem Herrn zum Ergötzen eine Kostprobe meiner Nächte auf Dejima anbieten?» «Nein», knurrt Uzaemon, und der Mann zieht grölend weiter: «Sehen Sie Kawaharas Hundertundacht Wunder des Kaiserreichs, ohne dass Sie das Haus verlassen müssen!» Ein Geschichtenerzähler zeigt auf Bilder von der Belagerung Shimabaras: «Hier, meine Damen und Herren, sehen Sie den Christen Amakusa Shirō, wild entschlossen, unsere Seelen an den König von Rom zu verkaufen!» Er weiß, wie man das Publikum anheizt: Es hagelt Buh-Rufe und Beschimpfungen. «Also verjagte der große Shōgun die ausländischen Teufel, und so findet Fumie, das alljährliche Ritual des Bild-Tretens, noch heute statt, um die Ketzer auszusondern, die sich an unseren Eutern nähren!» Ein von Krankheit gezeichnetes Mädchen, das einen Säugling stillt, der so schwer missgebildet ist, dass Uzaemon ihn für einen kahlgeschorenen Welpen hält, bettelt: «Erbarmen und eine Münze, Herr, Erbarmen und eine Münze ...» Er schiebt das Fenster auf, doch im selben Augenblick bewegt sich die Sänfte mehrere Stufen nach

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