Die tausend Herbste des Jacob de Zoet
oben, und Uzaemon hält die Mon-Münze der lachenden, rauchenden, scherzenden Menge hin. Die Ausgelassenheit ist ihm unerträglich. Ich bin wie ein toter Geist am Obon-Fest , denkt er, gezwungen, mit anzusehen, wie sich die Sorgenfreien und Lebendigen mit Leben vollfressen. Die Sänfte neigt sich steil nach hinten, und er muss sich an dem lackierten Griff festhalten. Am Ende der Treppe schlagen ein paar Mädchen, nicht mehr Kind, noch nicht ganz Frau, ihre Kreisel. Wer die Geheimnisse auf dem Shiranui kennt , denkt er, ist aus dieser Welt verbannt.
Ein schwerfälliger Ochse versperrt ihm den Blick auf die Mädchen.
Die Gebote von Enomotos Orden tauchen alles in Finsternis.
Als der Ochse vorübergezogen ist, sind die Mädchen verschwunden.
Die Sänften werden im Hof der Jadepfingstrose abgesetzt, einem Bereich, der den Samuraifamilien Vorbehalten ist. Uzaemon steigt aus und steckt das Schwert in die Scheide. Seine Frau stellt sich hinter seine Mutter, während sein Vater, der seit Wochen immer aggressiver wird, über Kiyoshichi herfällt wie eine Schnappschildkröte: «Wie konntest du zulassen, dass wir bei lebendigem Leibe ...», er zeigt mit dem Stock auf die überfüllte Treppe, «... in diesem Menschensumpf begraben werden?»
«Mein Fehler ...», Kiyoshichi verbeugt sich tief, «... ist unverzeihlich, Herr.»
«Aber du verlangst natürlich», knurrt Ogawa der Ältere, «dass der Alte dir trotzdem vergibt!»
Uzaemon versucht zu schlichten. «Bei allem Respekt, Vater, ich bin mir sicher ...»
«‹Bei allem Respekt› sagen Schurken, wenn sie das Gegenteil meinen!»
«Bei allem aufrichtigen Respekt, Vater, aber Kiyoshichi konnte die Leute schließlich nicht fortzaubern.»
«Dann verbünden sich jetzt Söhne mit Dienern gegen ihre Väter?»
Kannon, fleht Uzaemon stumm, schenk mir Geduld. «Vater, ich verbünde mich nicht ...»
«Du glaubst wohl, der alte Dummkopf lebt hinterm Mond.»
Ich bin nicht dein Sohn. Der unerwartete Gedanke verblüfft Uzaemon.
«Die Leute werden glauben», erklärt Uzaemons Mutter ihren gepuderten Händen, «dass die Ogawas Zweifel am Bild-Treten hegen.»
Uzaemon wendet sich an Ogawa Mimasaku. «Dann lass uns hineingehen ... ja?»
«Möchtest du nicht erst die Diener um Erlaubnis bitten?» Ogawa Mimasaku geht auf das Innentor zu. Vor ein paar Tagen hat er, erst halb genesen, das Krankenbett verlassen, denn beim Fumie-Ritual zu fehlen ist, als würde man den eigenen Tod bekanntgeben. Als Saiji ihm helfen will, schlägt er barsch seine Hand weg. «Auf meinen Stock ist mehr Verlass.»
Die Ogawas gehen an einer Schlange frisch vermählter Paare vorbei, die vor dem bronzenen Ryūgaji-Drachen warten, um den duftenden Rauch einzuatmen, der aus seinem Maul strömt. Der Sage nach verspricht das einen gesunden Sohn. Uzaemon ahnt, dass seine Frau sich gerne in die Schlange einreihen würde, aber die Scham über ihre zwei Fehlgeburten ist zu groß. Der höhlenartige Tempeleingang ist mit weißen Papierstreifen geschmückt, um das Jahr des Schafes zu feiern. Die Diener helfen ihnen, die Schuhe auszuziehen, welche sogleich mit Namensschildern versehen und in ein Regal gestellt werden. Ein junger Priester begrüßt sie mit ängstlicher Verbeugung, um sie in die Paulowniagalerie zu bringen, wo das Fumie-Ritual fern von den neugierigen Blicken des gemeinen Volkes vollzogen wird. «Der Oberpriester geleitet die Ogawas», bemerkt Uzaemons Vater.
«Der Oberpriester», entschuldigt sich der junge Mann, «ist im M-m-moment -»
Ogawa Mimasaku wendet seufzend den Blick ab.
«- mit anderen ...», der Stotterer ist so beschämt, dass er zu stottern vergisst, «... Tempelpflichten beschäftigt.»
«Womit ein Mensch sich beschäftigt, zeigt, wer oder was ihm wichtig ist.»
Der Priester führt sie zu einer Schlange aus dreißig bis vierzig Wartenden. «Es sollte», er holt tief Luft, «n-n-n nnn-n-nicht allzu lange dauern.»
«Wie, in Buddhas Namen», fragt Uzaemons Vater, «sprechen Sie nur Ihre Sutras?»
Der junge Priester errötet, verbeugt sich und geht davon.
Zum ersten Mal seit vielen Tagen huscht so etwas wie ein Lächeln über Ogawa Mimasakus Gesicht.
Uzaemons Mutter begrüßt derweil die Familie, die vor ihnen steht. «Nabeshima-san!»
Eine korpulente Matriarchin dreht sich um. «Ogawa-san!»
«Das Jahr», gurrt Uzaemons Mutter, «ist wieder einmal wie im Fluge vergangen!»
Ogawa der Ältere und der Patriarch der anderen Familie, der im Auftrag der Stadtregierung die Reissteuer
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