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Die tausend Herbste des Jacob de Zoet

Die tausend Herbste des Jacob de Zoet

Titel: Die tausend Herbste des Jacob de Zoet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Mitchell
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van Cleefs Frau im warmen Sand. Baue mit meinem Bruder und meinen Landsleuten Boote und webe Segel. Wenn ich ihre Namen vergesse, erinnern sie mich. Wir unterhalten uns in unserer Sprache, trinken Kava und beten zu unseren Ahnen. Auf meiner Gedankeninsel muss ich nicht für Herren stopfen oder scheuern, ich muss ihnen nichts holen und nichts für sie tragen.
    Dann höre ich plötzlich: «Bist du taub, du fauler Hund?»
    Ich höre: «Beweg dich, oder du kriegst die Peitsche zu spüren!»
    Wenn ich von meiner Gedankeninsel zurückkomme, bin ich wieder ein Gefangener der Sklavenhalter.
    Wenn ich nach Dejima zurückkomme, spüre ich die Narben der Gefangenschaft.
    Wenn ich nach Dejima zurückkomme, glüht Zorn in mir wie heiße Kohlen.
    Das Wort «mein» bereitet Freude. Das Wort «mein» bereitet Schmerz. Das gilt für Herren genauso wie für Sklaven. Wenn sie betrunken sind, werden wir unsichtbar für sie. Dann unterhalten sie sich über Besitz, Gewinne und Verluste, Kaufen und Verkaufen, über Stehlen, Leihen, Mieten und Betrügen. Zu leben bedeutet für Weiße, Dinge zu besitzen, mehr zu besitzen oder für noch mehr Besitz zu sterben. Ihre Gier ist verblüffend! Sie besitzen Schränke voll mit Kleidern, Sklaven, Kutschen, Häuser, Speicher und Schiffe. Sie besitzen Häfen, Städte, Plantagen, Täler, Berge, ganze Inselketten. Sie besitzen unsere Welt, die Urwälder, die Meere, den Himmel. Trotzdem beschweren sie sich, dass Dejima ein Gefängnis ist. Sie beschweren sich, dass sie nicht frei sind. Nur Dr. Marinus beklagt sich nicht. Er hat die Haut eines Weißen, aber seine Seele ist nicht die Seele eines Weißen. Man sieht es in seinen Augen. Seine Seele ist viel älter. Auf Weh würden wir ihn einen Kwaio nennen. Ein Kwaio ist ein Ahne, der nicht auf der Insel der Ahnen bleibt. Ein Kwaio kehrt immer wieder, wieder und wieder, immer in einem neugeborenen Kind. Ein guter Kwaio wird vielleicht Schamane, aber ein böser Kwaio ist das Fürchterlichste auf der Welt.
    Der Doktor hat Herrn Fischer überredet, dass ich Niederländisch schreiben lernen soll.
    Herrn Fischer gefiel das gar nicht. Er sagte, ein Sklave, der lesen kann, richtet sich durch «aufrührerische Gedanken» zugrunde. Er hätte das in Surinam erlebt, sagte er. Aber Dr. Marinus gab nicht auf. Er bat Herrn Fischer zu bedenken, wie nützlich ich im Kontor sein werde und dass er einen viel höheren Preis für mich verlangen kann, wenn er mich verkaufen will. Daraufhin änderte Herr Fischer seine Meinung. Er richtete den Blick auf Herrn de Zoet am Ende der Tafel und sagte: «De Zoet, ich habe eine Aufgabe, die wie für Sie gemacht ist.»

    Als Herr Fischer sein Mahl in der Küche beendet hat, folge ich ihm zum Haus des Stellvertreters. Als wir die Lange Straße überqueren, muss ich den Sonnenschirm halten, damit sein Kopf im Schatten ist. Das ist nicht einfach. Wenn eine Quaste seinen Kopf berührt oder wenn die Sonne ihn blendet, schlägt er mich, weil ich nicht aufgepasst habe. Heute hat mein Herr schlechte Laune, weil er beim Kartenspiel bei Herrn Grote viel Geld verloren hat. Er bleibt mitten auf der Langen Straße stehen. «In Surinam», schreit er mich an, «weiß man, wie man stinkenden Negerhunden wie dir die Flötentöne beibringt!» Dann schlägt er mich mit aller Kraft ins Gesicht, und ich lasse den Sonnenschirm fallen. «Heb das auf!», brüllt er mich an. Als ich mich bücke, tritt er mich ins Gesicht. Das gehört zu Herrn Fischers liebsten Gemeinheiten, also drehe ich den Kopf zur Seite, tue aber so, als hätte ich starke Schmerzen. Sonst fühlt er sich betrogen und tritt noch einmal zu. Er sagt: «Das hast du davon, dass du meinen Besitz in den Dreck wirfst.» Ich sage: «Ja, Herr Fischer», und öffne ihm die Haustür.
    Wir gehen die Treppe zu seinem Schlafzimmer hinauf. Er legt sich aufs Bett und stöhnt: «Die Hitze in diesem gottverdammten Gefängnis ist unerträglich ...»
    Von «Gefängnis» ist in diesem Sommer oft die Rede, weil das Schiff aus Batavia noch nicht da ist. Die weißen Herren fürchten, dass es nicht mehr kommt - dann gibt es keine Handelszeit und auch keine Neuigkeiten und Luxusgüter aus Java. Dann müssen die weißen Herren, deren Dienstzeit zu Ende ist, hierbleiben und ihre Diener und Sklaven auch.
    Herr Fischer wirft sein Taschentuch auf den Boden und sagt: «Scheiße!»
    Mit diesem Wort kann man auf Niederländisch fluchen oder schimpfen, aber diesmal heißt es, ich soll den Nachttopf in seine Lieblingsecke stellen. Am

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