Die tausend Herbste des Jacob de Zoet
Gebote Eures Ordens?»
«Aber ja! Wir haben bei Ihnen einige schöne Briefe gefunden, aber nicht eine gewisse Hartriegelschatulle. Ich möchte nicht vorgeben, dass Sie Ihr Leben retten könnten: Ihr Tod war vorherbestimmt, seit die Kräuterheilerin an Ihre Tür klopfte. Aber Sie können den verheerenden Brand verhindern, der das Haus der Ogawas im sechsten Monat dieses Jahres vernichten wird. Was halten Sie davon?»
«Zwei Briefe», lügt Uzaemon, «wurden heute an Ogawa Mimasaku gesandt. Mit dem ersten wird mein Name aus dem Stammbuch der Ogawas gelöscht. Mit dem zweiten werde ich von meiner Frau geschieden. Warum ein Haus vernichten, das in keiner Verbindung zu mir steht?»
«Aus reiner Boshaftigkeit. Geben Sie mir die Schriftrolle, oder sterben Sie mit der Gewissheit, dass auch die anderen sterben werden.»
«Sagen Sie mir, warum Sie Dr. Aibagawas Tochter entführt haben.»
Enomoto beschließt, ihm den Gefallen zu tun. «Weil ich fürchtete, sie zu verlieren. Dank der guten Dienste Ihres Kollegen Kobayashi kam ich in den Besitz einer Seite aus dem Zeichenbuch eines Niederländers. Schauen Sie. Ich habe sie mitgebracht.»
Enomoto faltet ein europäisches Blatt Papier auseinander und hält es hoch:
Bewahre dieses Bild von ihr , befiehlt Uzaemon seinem Gedächtnis. Und zeige sie mir am Ende.
«De Zoet hat sie recht gut getroffen.» Enomoto faltet die Zeichnung zusammen. «So gut, dass Aibagawa Seians Witwe befürchtete, der Niederländer hätte es auf den wertvollsten Besitz der Familie abgesehen. Das Wörterbuch, das Ihr Diener Orito heimlich übergab, bewirkte die Entscheidung. Mein Verwalter überredete die Witwe, sich über die Trauervorschriften hinwegzusetzen und die Zukunft ihrer Stieftochter ohne weiteren Aufschub zu besiegeln.»
«Wusste das elende Weib von Ihren irrsinnigen Bräuchen?»
«Sie wissen über die Gebote so wenig wie ein Regenwurm von Kopernikus.»
«Sie halten sich einen Harem mit entstellten Frauen zum Vergnügen Ihrer Mönche ...»
«Merken Sie nicht, dass Sie sich anhören wie ein Kind, das nicht zu Bett gehen will?»
«Warum legt Ihr der Akademie nicht eine Abhandlung vor», sagt Uzaemon, «in der ...»
«Wie kommt ihr sterblichen Insekten nur darauf, dass eure Ungläubigkeit von Belang sein könnte?»
«... in der Ihr erklärt, dass Ihr die Gaben tötet, um ihre Seelen zu destillieren ...»
«Es ist nun Ihre letzte Möglichkeit, das Haus der Ogawas vor dem Untergang ...»
«... die Ihr dann wie Parfüm in Flaschen füllt und trinkt wie eine Arznei, um den Tod zu überlisten. Warum teilt Ihr der Welt Eure wunderbaren Erkenntnisse nicht mit?» Uzaemon blickt finster zu den sich bewegenden Gestalten. «Ich sage Euch, warum: weil noch ein Fünkchen Verstand in Euch steckt, der Euch wie ein innerer Jiritsu sagt: ‹Das ist böse.›»
«Ach, böse. Böse, böse, böse. Ihr Sterblichen zückt dieses Wort wie ein Schwert, und dabei ist es nichts als leerer Hochmut. Ist es ‹böse›, wenn Sie das Dotter aus einem Ei saugen? Der Drang zu überleben ist ein Naturgesetz, und mein Orden besitzt - oder besser gesagt, er ist - das Geheimnis, die Sterblichkeit zu überwinden. Neugeborene sind eine unschöne Notwendigkeit, aber nach zwei Lebenswochen ist die Seele bereits so gefangen, dass sie sich nicht mehr destillieren lässt. Ein fünfzigköpfiger Orden benötigt eine regelmäßige Versorgung - für den Eigenbedarf und um sich die Gunst einiger weniger Auserwählter zu sichern. Ihr Freund Adam Smith würde das begreifen. Außerdem gäbe es die Gaben ohne den Orden überhaupt nicht. Sie sind eine Ingredienz, die wir erzeugen. Was ist daran ‹böse›?»
«Wortreicher Irrsinn, Fürstabt Enomoto, bleibt dennoch Irrsinn.»
«Ich bin über sechshundert Jahre alt. Sie werden in wenigen Minuten sterben ...»
Er glaubt an die Gebote , erkennt Uzaemon. Er glaubt jedes einzelne Wort.
«... wer also ist am Ende stärker? Ihre Vernunft? Oder mein wortreicher Irrsinn?»
«Lasst mich gehen», sagt Uzaemon, «lasst Fräulein Aibagawa gehen, und ich verrate Euch, wo die ...»
«Nein, nein, da gibt es kein Feilschen. Niemand außerhalb des Ordens darf von den Geboten wissen und weiterleben. Sie müssen sterben, so wie Jiritsu sterben musste und die aufdringliche alte Kräuterheilerin ...»
Uzaemon stöhnt auf vor Entsetzen. «Sie hat Euch nichts getan!»
«Sie wollte dem Orden schaden. Wir haben uns nur verteidigt. Aber ich möchte, dass Sie sich das hier ansehen - einen Gegenstand, den
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