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Die tausend Herbste des Jacob de Zoet

Die tausend Herbste des Jacob de Zoet

Titel: Die tausend Herbste des Jacob de Zoet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Mitchell
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Fuß der Treppe ist ein Abtritt, aber der Herr ist zu faul, sich hinunterzubewegen. Herr Fischer steht auf, lässt die Hose runter, hockt sich über den Topf und grunzt. Ich höre etwas Glitschiges plumpsen. Der Geruch breitet sich im Zimmer aus. Dann knöpft Herr Fischer sich die Hose zu. «Steh nicht dumm rum, du stinkende Ausgeburt ...» Seine Stimme ist schläfrig vom Whisky, den er zum Mittag getrunken hat. Ich lege den Holzdeckel auf den Nachttopf und bringe ihn hinaus zur Abfalltonne. Herr Fischer sagt, er duldet keinen Unrat in seinem Haus, darum darf ich den Nachttopf nicht in den Abtritt leeren, wie es die anderen Sklaven tun.
    Ich gehe die Lange Straße hinunter zur Kreuzung, biege in die Knochengasse, dann links in die Uferstraße, gehe am Haus vom Obersten vorbei und leere den Nachttopf in die Abfalltonne schräg hinter dem Krankenhaus. Eine schwarze Fliegenwolke schwirrt über der Tonne. Ich mache Schlitzaugen wie ein Gelber und kneife die Nasenlöcher zu, damit die Fliegen keine Eier darin ablegen. Dann spüle ich den Nachttopf in der Meerwassertonne aus. Auf dem Boden von Herrn Fischers Nachttopf ist ein seltsames Haus aus der Welt des weißen Mannes. Es heißt Windmühle. Philander sagt, darin macht man Brot, aber als ich wissen wollte, wie, nannte er mich einen Dummkopf. Das heißt, er weiß es nicht.
    Ich nehme den Umweg zurück zum Haus des Stellvertreters. Die weißen Herren beklagen sich den ganzen Sommer lang über die Hitze, aber ich lasse mir von der Sonne gerne die Knochen wärmen, damit ich durch den Winter komme. Die Sonne erinnert mich an Weh, mein Zuhause. Als ich an den Schweinekoben vorbeikomme, sieht mich d’Orsaiy und fragt, warum Herr Fischer mich auf der Langen Straße geschlagen hat. Braucht der Herr einen Grund?, sagt mein Gesicht, und d’Orsaiy nickt. Ich mag d’Orsaiy. Er kommt aus einer Gegend, die man «das Kap» nennt, auf halbem Weg zur Welt der Weißen. Ich habe noch nie einen Menschen mit so schwarzer Haut gesehen. Dr. Marinus sagt, er ist ein Hottentotte, aber die Arbeiter der Herren nennen ihn «Pik-Bube». Er fragt mich, ob ich heute Nachmittag zu Herrn de Zoet gehe, um lesen und schreiben zu üben. Ich sage: «Ja, außer Herr Fischer gibt mir noch mehr zu tun.» D’Orsaiy sagt, Schreiben ist eine Zauberkunst, und ich muss es unbedingt lernen. Er warnt mich, dass Herr Ouwehand und Herr Twomey im Sommerhaus Billard spielen. Das heißt, ich muss mich beeilen, damit Herr Ouwehand mich bei Herrn Fischer nicht als Faulpelz anschwärzt.
    Als ich das Haus des Stellvertreters betrete, höre ich jemanden schnarchen. Ich weiß, welche Stufen knarren, und schleiche leise die Treppe hinauf. Herr Fischer schläft. Das ist nicht gut, denn wenn ich zum Schreibunterricht zu Herrn de Zoet gehe, ohne Herrn Fischer um Erlaubnis zu fragen, bestraft er mich für meinen Eigensinn. Wenn ich aber nicht zu Herrn de Zoet gehe, bestraft er mich für meine Faulheit. Und wenn ich Herrn Fischer wecke, um ihn um Erlaubnis zu fragen, bestraft er mich, weil ich seine Mittagsruhe gestört habe. Schließlich schiebe ich den Nachttopf unter Herrn Fischers Bett und gehe. Vielleicht bin ich zurück, bevor er aufwacht.
    Die Tür zum Großen Haus, in dem Herr de Zoet wohnt, steht offen. Hinter der Seitentür liegt ein großer abgeschlossener Raum mit leeren Kisten und Fässern. Ich klopfe wie immer auf die unterste Stufe und warte, dass Herr de Zoet «Bist du das, Weh?» ruft. Aber heute ruft er nicht. Erstaunt gehe ich die Treppe hinauf, laut genug, dass er mich kommen hört. Aber es bleibt still. Herr de Zoet hält nur selten Mittagsschlaf, aber vielleicht hat ihn heute Nachmittag die Hitze überwältigt. Auf dem Treppenabsatz gehe ich an dem Nebenraum vorbei, wo während der Handelszeit der Hausdolmetscher wohnt. Herrn de Zoets Tür steht halb offen, also spähe ich ins Zimmer. Er sitzt an dem niedrigen Tisch. Er bemerkt mich nicht. Sein Gesicht sieht anders aus als sonst. Das Leuchten in seinen Augen ist ausgegangen. Er fürchtet sich. Seine Lippen formen lautlose Worte. Auf meiner Heimatinsel würden wir sagen, dass ein böser Kwaio ihn verflucht hat.
    Herr de Zoet starrt auf eine Schriftrolle.
    Es ist nicht das Buch eines weißen Mannes, sondern die Schriftrolle eines gelben.
    Ich bin zu weit entfernt und kann nicht viel erkennen, aber die Buchstaben sind keine niederländischen. Es ist die Schrift des gelben Mannes - Herr Yang und seine Söhne haben solche Buchstaben benutzt.
    Neben der

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