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Die tausend Herbste des Jacob de Zoet

Die tausend Herbste des Jacob de Zoet

Titel: Die tausend Herbste des Jacob de Zoet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Mitchell
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Sie!»
    «Übrigens hat mir Piet Baert erzählt, dass Grote eines Winters - ich glaube, es war in Palermo - tatsächlich Schafsmist an die Schäfer verkauft hat.»
    Jacob sieht, wie der englische Kapitän den Mund öffnet und ...
    «Feuer!» Jacob kneift die Augen zu: Er legt die Hand auf den Psalter.
    Der Regen tauft die Sekunden bis zum ersten Abschuss.
    Ohrenbetäubendes Donnerwirbeln raubt Jacob die Sinne. Der Himmel hat sich zur Seite gedreht. Eine Kanone ist verspätet losgegangen. Er kann sich nicht daran erinnern, dass er sich hingeworfen hat, aber er liegt auf den nassen Planken. Er fasst sich an die Gliedmaßen. Sie sind vollständig. Seine Hände sind aufgeschürft, seltsamerweise schmerzt sein linker Hoden, aber ansonsten fehlt ihm nichts.
    Hunde bellen durcheinander, Krähen kreischen.
    Marinus lehnt am Geländer. «Speicher Sechs muss erneuert werden; die Palisade hat hinter der Zunft ein großes Loch; Wachtmeister Kosugi wird heute Nacht vermutlich ...», in der Uferstraße ertönt ein lautes Ächzen, dann stürzt etwas zusammen, «... wird heute Nacht ganz sicher woanders Unterkommen müssen, und ich habe mir vor Angst auf den Schenkel gepisst. Unsere glorreiche Fahne ist, wie Sie sehen, unversehrt. Die Hälfte der Kugeln ist über uns hinweggeflogen ...», der Arzt blickt landeinwärts, «... und hat schwere Schäden verursacht. Quid non mortalia pectora cogis, auri sacra fames. »
    Der Rauchschleier, der die Fregatte umhüllt, wird vom Wind zerrissen.
    Jacob steht auf und versucht, normal zu atmen. «Wo ist William Pitt?»
    «Abgehauen: Ein Macaca fuscata ist schlauer als zwei Homines sapientes.»
    «Ich wusste gar nicht, dass Sie so kampferprobt sind, Herr Doktor.»
    Marinus bläst Luft aus. «Hat das Nahfeuer Sie zur Vernunft gebracht, oder bleiben wir?»
    Ich kann Dejima nicht im Stich lassen, weiß Jacob, und gleichzeitig fürchte ich mich zu sterben.
    «Also bleiben wir.» Marinus schnalzt mit der Zunge. «Bis die Briten die Vorstellung fortsetzen, haben wir eine kurze Pause.»
    Der Ryūgaji-Tempel schlägt wie jeden Tag die Stunde des Pferdes.
    Jacob blickt zur Landpforte. Ein paar unsichere Wachen wagen sich hindurch.
    Eine Gruppe rennt vom Edo-Platz über die Holland-Brücke.
    Er denkt an Orito, wie sie in der Sänfte fortgebracht wurde.
    Er fragt sich, wie sie ihre Qualen erträgt, und spricht ein stummes Gebet.
    Ogawas Schatulle steckt in seiner Jackentasche.
    Bitte gib, dass ein Befugter sie findet und liest, wenn ich ums Leben komme ...
    Ein paar der chinesischen Kaufleute machen ihnen von den Dächern aus Zeichen.
    An den Stückpforten der Phoebus kündigt sich die nächste Salve an.
    Wenn ich nicht weiterspreche , erkennt Jacob, zerspringe ich wie ein fallen gelassener Teller.
    «Ich weiß, woran Sie nicht glauben, Herr Doktor: Aber woran glauben Sie?»
    «Oh, an Descartes’ Methodenlehre, an Domenico Scarlattis Sonaten, an die Wirkmacht jesuitischen Gekläffs ... Nur sehr wenige Dinge sind es wert, dass man an sie glaubt oder sie verwirft. Man sollte sich lieber um ein friedliches Miteinander bemühen, als danach zu trachten, die anderen zu widerlegen.»
    Wolken quellen über die Berge; Regen tropft von Arie Grotes Hut.
    «Nordeuropa ist geprägt von kaltem Klima und klaren Linien ...», Jacob weiß, dass er Unsinn faselt, aber er kann nicht aufhören, «und das Gleiche gilt für den Protestantismus. Die Mittelmeerregion ist gleißendes Sonnenlicht und undurchdringlicher Schatten. So wie der Katholizismus. Hier aber ...», Jacob zeigt landeinwärts, «im geheimnisvollen Ostasien ... mit seinen Glocken, Drachen und Millionen von ... bekommen die Begriffe Seelenwanderung und Karma, die zu Hause als Ketzerei gelten, etwas ... etwas ...» Der Niederländer niest.
    «Gesundheit.» Marinus spritzt sich Regenwasser ins Gesicht. «Etwas Einleuchtendes?»
    Jacob niest noch einmal. «Ich rede dummes Zeug.»
    «Manchmal offenbaren sich in dummem Zeug die klügsten Gedanken.»
    Aus einem gespaltenen Haus auf einer dichtbebauten Anhöhe quillt schwarzer Rauch.
    Jacob sucht mit den Augen das Haus der Glyzinien, aber Nagasaki ist ein Labyrinth. «Wie verhält sich die Karmalehre zu den ... zu den Sünden, die ein Mensch nicht vorsätzlich begangen hat? Suchen sie ihn nur in diesem Leben heim oder auch im nächsten?»
    «Welches Vergehen Sie auch begangen zu haben glauben, Domburger ...», Marinus zieht für jeden einen Apfel aus der Manteltasche, «es wird wohl kaum so furchtbar sein, dass die

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