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Die tausend Herbste des Jacob de Zoet

Die tausend Herbste des Jacob de Zoet

Titel: Die tausend Herbste des Jacob de Zoet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Mitchell
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Großsegel fallen, fangen den nassen Wind ein und blähen sich ...

    Jacob liegt unruhig in Faktor van Cleefs Bett. Daran gewöhnt, Listen zu erstellen, zählt er die Gründe auf, warum er nicht schlafen kann. Erstens: die Flöhe in van Cleefs Bett. Zweitens: der «Dejima Gin», den Baert zur Feier des Tages spendiert hat, so genannt, weil er nach allem schmeckt, nur nicht nach Gin. Drittens: die Austern, die Statthalter Shiroyama hat schicken lassen. Viertens: Con Twomeys Aufstellung der verheerenden Schäden an den niederländischen Gebäuden. Fünftens: die morgige Zusammenkunft mit Shiroyama und den städtischen Beamten, und sechstens: seine geistige Bestandsaufnahme des Ereignisses, das als «der Phoebus -Vorfall» in die Geschichte eingehen wird, eingeschlossen der Fülle an möglichen Folgen. Auf der Gewinnseite ist zu verzeichnen, dass es den Engländern nicht gelungen ist, den Niederländern auch nur eine Gewürznelke oder den Japanern ein einziges Kampferkristall zu entreißen. Für die nächsten zwei, drei Generationen ist ein englisch-japanisches Abkommen unvorstellbar. Auf der Verlustseite steht, dass die Belegschaft der Kompanie auf acht Europäer, eine Handvoll Sklaven und einen dürren Hahn geschrumpft ist, kaum mehr als ein Gerippe. Falls im nächsten Juni kein Schiff kommt - und es ist sehr unwahrscheinlich, dass eins kommt, da Java in britischer Hand ist und die VOC nicht mehr existiert muss Dejima auf Darlehen von den Japanern hoffen, um die laufenden Kosten zu decken. Aber wird der «alte Verbündete» auch dann noch ein gerngesehener Gast sein, wenn er in Lumpen gehüllt ist? Nein, vor allem dann nicht, wenn die Japaner den Niederländern eine Mitschuld am plötzlichen Auftauchen der Phoebus zuschreiben. Dolmetscher Hori überbrachte Neuigkeiten über die Zerstörungen an Land: Sechs Soldaten sind auf dem Edo-Platz gefallen, weitere sechs wurden verletzt, und mehrere Bürger kamen bei einem Brand ums Leben, verursacht durch eine Kanonenkugel, die in eine Küche im Bezirk Shinmachi eingeschlagen war. Die politischen Konsequenzen, deutete er an, seien nicht abzusehen.
    Noch nie , denkt Jacob, habe ich von einem sechsundzwanzigjährigen Faktor gehört ...
    ... und noch nie , er wälzt sich im Bett, von einer Faktorei, die so krisengeschüttelt war wie Dejima.
    Er vermisst das Große Haus, aber der Faktor muss in der Nähe der Tresore schlafen.

    Früh am nächsten Morgen wird Jacob im Amtssitz des Statthalters von Dolmetscher Goto und Kammerherr Tomine empfangen. Tomine entschuldigt sich und bittet Jacob, vor der Begegnung mit dem Statthalter eine unangenehme Aufgabe zu erledigen: Ein Fischerboot habe am gestrigen Abend vor dem Papenberg die Leiche eines ausländischen Matrosen aus dem Wasser gezogen. Ob Faktor de Zoet sich den Toten ansehen und einschätzen könne, ob er von der Phoebus stamme?
    Jacob fürchtet sich nicht vor Leichen, denn er hat seinem Onkel bei jeder Beerdigung in Domburg geholfen.
    Der Kammerherr führt ihn über den Innenhof zu einem leeren Speicher.
    Er sagt ein Wort, das Jacob nicht kennt. Goto übersetzt: «Ort, wo toter Körper wartet.»
    Eine Leichenhalle , begreift Jacob. Goto bittet Jacob, ihm das Wort beizubringen.
    Vor dem Speicher wartet ein alter buddhistischer Priester mit einem Eimer Wasser.
    «Um Toten rein zu machen», erklärt Goto, «wenn verlässt ... ‹Leichenhalle›.»
    Sie treten ein. Die Leichenhalle hat ein kleines Fenster. Es riecht nach Tod.
    Auf einer Pritsche liegt ein junger Mischling. Das drahtige Haar ist zu einem Zopf gebunden.
    Er ist nur mit einer Segeltuchhose bekleidet. Auf seinem Oberkörper prangt eine tätowierte Eidechse.
    Ein kalter, starker Luftzug weht von der offenen Tür zum Fenster.
    Er zerzaust dem Jüngling das Haar, was seine Reglosigkeit noch mehr hervorhebt.
    Sicher hat die graue, schlaffe Haut des Jungen im Leben golden geschimmert.
    «Trug er irgendwelche Gegenstände bei sich?», fragt Jacob auf Japanisch.
    Der Kammerherr nimmt ein Tablett aus einem Regal: Darauf liegt ein britischer Farthing.
    «GEORGIVS III. REX» steht auf der Bildseite, auf der Rückseite thront Britannia.
    «Ich habe Zweifel», sagt Jacob, «dass er Matrose auf der Phoebus war.»
    «Sa», antwortet Kammerherr Tomine. «Aber ist er Engländer?»
    Das wissen nur seine Mutter und sein Schöpfer , denkt Jacob. Er sagt zu Goto: «Bitte sagen Sie Tomine-sama, dass sein Vater vermutlich Europäer war. Seine Mutter war wahrscheinlich eine Negerin. Genaueres

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