Die tausend Herbste des Jacob de Zoet
kann ich nicht sagen.»
Der Kammerherr zeigt sich nicht zufrieden. «Aber ist er Engländer?»
Jacob tauscht einen Blick mit Goto: Oft müssen die Dolmetscher nicht nur die Antworten liefern, sondern auch die nötigen Erklärungen. «Hätte ich einen Sohn mit einer Japanerin», fragt er Tomine, «wäre er dann Niederländer oder Japaner?»
Tomine zuckt bei dieser geschmacklosen Frage unwillkürlich zusammen. «Halb-halb.»
Dann , bedeutet Jacob, indem er auf die Leiche deutet, ist er es auch ...
«Aber sagt Faktor de Zoet», beharrt der Kammerherr, «dass er Engländer ist?»
Möwengeschrei aus dem Dachgebälk raubt dem Morgen seine Ruhe.
Jacob vermisst Ogawa. Er fragt Goto auf Niederländisch: «Was verstehe ich nicht?»
«Wenn Fremder Engländer ist», antwortet der Dolmetscher, «Leiche wird in Graben geworfen.»
Danke!, denkt Jacob. «Und andernfalls wird er auf dem Ausländerfriedhof beerdigt?»
Der intelligente Goto nickt. «Faktor de Zoet ist richtig.»
«Kammerherr», Jacob wendet sich direkt an Tomine. «Dieser junge Mann ist kein Engländer. Seine Haut ist zu dunkel. Ich wünsche, dass er» - wie ein Christ - «auf dem Friedhof des Berges Inasa begraben wird. Bitte lassen Sie die Münze auf sein Grab legen.»
Auf halbem Weg zum Raum der Letzten Chrysantheme liegt ein selten besuchter Innenhof mit einem Ahorn und einem kleinen Teich. Jacob und Goto werden gebeten, auf der Veranda zu warten, während Kammerherr Tomine sich vor der Audienz mit Statthalter Shiroyama berät.
Rotes Laub weht über die verwischte Sonne im dunklen Wasser.
«Glückwunsch», sagt eine Stimme auf Niederländisch, «zu Beförderung, Faktor de Zoet.»
Wie könnte es anders sein? Jacob dreht sich zu Ogawas Mörder und Oritos Peiniger um.
«Guten Morgen, Fürstabt», antwortet er in seiner Muttersprache. Die Hartriegelschatulle drückt gegen seine Rippen. Sicher zeichnet sich an seiner linken Körperseite eine verräterische Ausbuchtung ab.
Enomoto sagt zu Goto: «In der Vorhalle hängen einige Gemälde, die Sie interessieren werden.»
«Fürstabt», Goto verbeugt sich, «die Vorschriften der Dolmetscherzunft verbieten -»
«Sie vergessen, wer ich bin. Ich vergebe nur einmal.»
Goto sieht Jacob an. Jacob gibt ihm nickend sein Einverständnis. Er dreht sich etwas zur Seite, um die Schatulle zu verbergen.
Einer von Enomotos stummen Dienern begleitet Goto, ein anderer bleibt in der Nähe.
«Der niederländische Faktor war tapfer gegen Kriegsschiff.» Enomoto übt sein Niederländisch. «Nachricht verbreitet sich in ganz Japan, sogar jetzt.»
Jacob kann nur an den Shiranui-Orden und die zwölf Gebote denken.
Strafen Eure Gebote sich nicht selbst Lügen , denkt er, wenn ein Mitglied Eures Ordens stirbt? Und beweist das nicht, dass Eure Göttin nur ein Stück totes Holz ist? Und dass das Leid der Schwestern und das Ertränken ihrer Kinder vergeblich gewesen ist?
Enomoto runzelt die Stirn, als lausche er einer fernen Stimme. «Das erste Mal ich sah Sie in Saal der Sechzig Matten, vor einem Jahr, ich glaube ...»
Ein weißer Schmetterling fliegt langsam vor Jacobs Gesicht vorbei.
«Ich denke, seltsam: Er ist Ausländer, aber es gibt Gemeinsamkeit. Sie wissen?»
«Ich erinnere mich an den Tag», bestätigt Jacob, «aber ich habe nichts Gemeinsames gespürt.»
Enomoto lächelt wie ein Erwachsener, der ein Kind bei einer kleinen Flunkerei ertappt. «Als Herr Grote sagt: ‹De Zoet verkauft Quecksilber›, ich denke: Ah, Gemeinsamkeit!»
Ein Vogel mit schwarzem Kopf beobachtet sie aus dem feuerroten Baum.
«Also ich kaufe Quecksilber, aber ich glaube: Gemeinsamkeit ist noch da. Seltsam.»
Jacob fragt sich, wie sehr Ogawa Uzaemon vor seinem Tod hat leiden müssen.
«Dann höre ich: ‹Herr de Zoet macht Aibagawa Orito Antrag›. Ich denke: Ohoo!»
Jacob kann den Schreck darüber nicht verbergen, dass Enomoto von Anfang an Bescheid gewusst hat. Die Blätter kreisen ganz langsam auf dem Wasser. «Wie habt Ihr ...», setzt Jacob an und erkennt im selben Augenblick, dass er das Gerücht bestätigt hat.
«Hanzaburo hat sehr dummes Gesicht - deshalb er sehr gute Spitzel ...»
Eine Last drückt auf Jacobs Schultern. Sein Rücken schmerzt.
Er stellt sich vor, wie Hanzaburo die Seite mit seinen Zeichnungen von Orito aus dem Skizzenbuch reißt ...
... und diese Seite , denkt er, wurde vielen lüsternen Blicken ausgesetzt.
«Was tut Ihr den Schwestern in Eurem Schrein an? Warum habt Ihr - «Jacob hält sich zurück, den
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