Die tausend Herbste des Jacob de Zoet
er weiß es, aber deine Mutter wird sich an sie erinnern.
«Der Prinz heißt so wie wir: Shiro für die Burg, yama für den Berg. Prinz Shiroyama ist etwas ganz Besonderes. Wir, du und ich, müssen eines Tages zu unseren Ahnen gehen, aber der Prinz in seinem Turm wird niemals sterben: Nicht, solange es einen Shiroyama gibt - du, ich, dein Sohn -, der seine Burg in den Händen hält und hineinschaut.»
Naozumi nimmt die Schnitzerei und hält sie ganz dicht vor die Augen.
Shiroyama möchte seinen Sohn an sich drücken und den süßen Duft einatmen, aber er tut es nicht.
«Danke, Vater.» Kawasemi neigt den Kopf des Jungen zu einer kleinen Verbeugung.
Naozumi hüpft mit seinem Geschenk von Matte zu Matte.
An der Tür dreht er sich zu seinem Vater um, und Shiroyama denkt: Jetzt. Dann tragen die Schritte den Jungen für immer davon.
Kinder ; denkt Shiroyama, entstammen der Wollust ihrer Eltern, ihren Pflichten, ihrer Unvorsicht ...
Die Ringelblumen in der Vase leuchten im erinnerten Sonnengelb des Sommers.
... aber vielleicht sind die Kinder am glücklichsten, die aus einem nicht gedachten Gedanken geboren werden: dass sich die unerträgliche Kluft zwischen zwei Liebenden nur durch ein neues Lebewesen schließen lässt. Die Glocke des Ryūgaji-Tempels schlägt die Stunde des Pferdes.
Jetzt, denkt er, muss ich einen Mord begehen.
«Es ist das Beste, wenn du jetzt gehst», sagt Shiroyama zu seiner Konkubine.
Kawasemi blickt zu Boden, fest entschlossen, nicht zu weinen.
«Wenn der Junge sich im Go-Spiel als begabt erweist, stelle einen Meister der Honinbo-Schule an.»
Im Vorraum zum Saal der Sechzig Matten und auf der langen Galerie, die zum vorderen Innenhof führt, liegen Berater, Inspektoren, Aufseher, Soldaten, Diener, Steuerbeamte und Hausangestellte demütig auf den Knien. Shiroyama bleibt stehen.
Krähen schmieren Gerüchte an den stumpfen, schwülen Himmel.
«Ihr alle: Hebt die Köpfe. Ich möchte eure Gesichter sehen.»
Drei-, vierhundert Köpfe heben sich: ein Meer von Augen ...
... das sich an einem Geist weidet , denkt Shiroyama, der noch gar nicht tot ist.
«Statthalter-sama!» Der Ratsälteste Wada hat sich selbst zum Sprecher ernannt.
Shiroyama sieht den penetrant getreuen Gefolgsmann an. «Wada-sama?»
«Dem Statthalter dienen zu dürfen, war die größte Ehre meines Lebens ...»
Wadas Gesicht ist starr vor Rührung, seine Augen leuchten.
«Wir alle durften von der Weisheit und dem Vorbild des Statthalters lernen ...»
Das Einzige, was du von mir gelernt hast, denkt Shiroyama, ist, dass der Küstenschutz zu jeder Zeit eintausend Soldaten zählen muss.
«Wir werden Euch in unseren Herzen und Gedanken für immer in Erinnerung behalten.»
Während mein Kopf und mein Körper , denkt Shiroyama, in der Erde vermodern.
«Nagasaki» - Tränen laufen dem Ratsältesten über das Gesicht - «wird sich von diesem Verlust nie mehr erholen!»
Ach, in einer Woche, schätzt Shiroyama, geht alles wieder den normalen Gang.
«Im Namen aller, denen die Gunst beschieden war - beschieden ist -, unter Euch zu dienen ...»
Gilt das auch für den Unberührbaren, denkt der Statthalter, der den Eimer mit meiner Scheiße leert?
«... spreche ich, Wada, Euch unsere ewige Dankbarkeit für Euren gütigen Schutz aus!»
Unter den Dachtraufen gurren Tauben wie Großmütter, die ein Neugeborenes begrüßen.
«Ich danke Ihnen», sagt er. «Dienen Sie meinem Nachfolger so treu, wie Sie mir gedient haben.»
Die dümmste Rede, die ich je gehört habe, stellt er fest, war zugleich die letzte.
Kammerherr Tomine öffnet die Tür, und er schreitet zu seiner letzten Amtshandlung.
Die Tür zum Saal der Sechzig Matten wird geschlossen. Niemand darf den Raum betreten, bis Kammerherr Tomine erscheint und Statthalter Shiroyamas ehrenvollen Tod verkündet. Die Menge in der Galerie kehrt nahezu geräuschlos ins helle Reich des Lebens zurück. Aus Respekt für den Statthalter bleibt der gesamte Flügel bis zum Einbruch der Dunkelheit leer, nur ein paar Wachen halten sich darin auf.
Eine hohe Schiebewand ist halb geöffnet, aber der Saal gleicht heute einem dunklen Gewölbe.
Fürstabt Enomoto begutachtet den Spielstand auf dem Go-Brett.
Er dreht sich um und verbeugt sich leicht. Sein Novize macht eine tiefe Verbeugung.
Der Statthalter bewegt sich auf die Mitte des Raumes zu. Seine Füße gleiten über den glatten Boden. Sein Körper teilt die Vorhänge aus Stille. Hinter ihm folgt Kammerherr Tomine.
Der Saal der
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