Die tausend Herbste des Jacob de Zoet
er das berüchtigte Dejima von der Korruption befreit hat. Er könnte sich mit Zwaardecroone oder Vorstenboschs Kollegen beraten und den Gewinn aus dem Quecksilbergeschäft in eine noch größere Unternehmung investieren - Kaffee vielleicht oder Teakholz - und so ein Vermögen anhäufen, von dem vielleicht sogar Annas Vater beeindruckt sein wird.
Als Jacob auf die Lange Straße tritt, kommt Hanzaburo aus dem Haus der Übersetzerzunft. Jacob geht zurück zum Großen Haus, um den wertvollen Wechsel in seiner Seemannskiste zu verstauen. Nach kurzem Zögern nimmt er den Fächer aus Paulowniaholz aus der Kiste und steckt ihn in die Jackentasche. Dann eilt er zum Wiegeplatz, wo heute Bleibarren gewogen und auf verfälschende Zusätze untersucht werden, bevor sie zurück in die Kisten wandern und versiegelt werden. Selbst unter dem Sonnensegel des Aufsehers herrscht glühende, einschläfernde Hitze, aber Waage, Kulis und Kisten müssen mit scharfen Augen überwacht werden.
«Sehr freundlich», sagt Peter Fischer, «dass Sie sich zum Dienst melden.»
Ganz Dejima weiß bereits von dem guten Geschäft, das der Sekretär mit seinem Quecksilber gemacht hat.
Jacob fällt keine Erwiderung ein, und er greift wortlos zur Strichliste.
Dolmetscher Yonekizu beobachtet das Geschehen unter dem benachbarten Sonnensegel. Die Arbeit geht langsam voran.
Jacob denkt an Anna, aber ihr Gesicht verschwimmt hinter den Zeichnungen, die er von ihr gemacht hat.
Sonnenverbrannte Kulis stemmen die Kisten auf ...
Ein Vermögen bringt uns der gemeinsamen Zukunft näher , denkt er, aber fünf Jahre bleiben eine sehr lange Zeit.
Sonnenverbrannte Kulis hämmern die Kisten wieder zu.
Jacob blickt auf die Taschenuhr: Vier Uhr geht vorbei.
Irgendwann macht sich Hanzaburo ohne Erklärung aus dem Staub.
Um Viertel vor fünf sagt Peter Fischer: «Das ist die zweihundertste Kiste.»
Eine Minute nach fünf fällt ein älterer Kaufmann in der Hitze in Ohnmacht.
Sofort wird jemand losgeschickt, um Dr. Marinus zu holen, und Jacob trifft eine Entscheidung.
«Würden Sie mich», fragt er Fischer, «für eine Minute entschuldigen?»
Fischer stopft herausfordernd langsam seine Pfeife. «Wie lange ist eine Minute bei Ihnen? Bei Ouwehand sind es fünfzehn bis zwanzig. Baerts Minute dauert über eine Stunde.»
Jacob steht auf: Die Beine sind ihm eingeschlafen. «Ich bin in zehn zurück.»
«Eine Minute sind bei Ihnen also zehn: Bei uns in Preußen sagt ein Mann, was er meint.»
«Ich gehe», murmelt Jacob, vielleicht hörbar, «bevor ich genau das tue.»
Jacob wartet an der Kreuzung und sieht den schuftenden Arbeitern zu. Dr. Marinus lässt nicht lange auf sich warten: Begleitet von einigen Hausdolmetschern, die seine Arztkiste tragen, humpelt er herbei, um sich den ohnmächtigen Kaufmann anzusehen. Er bemerkt Jacob, grüßt aber nicht. Jacob ist das nur recht. Der kotig stinkende Rauch, der am Ende des Klistierversuches aus seinem Mund drang, hat ihn von dem Wunsch kuriert, Marinus’ Freundschaft zu erringen. Seit der erlittenen Demütigung hat er jede Begegnung mit Fräulein Aibagawa gemieden: Wie könnte sie - oder einer der Famuli - je etwas anderes in ihm sehen als eine halbnackte Maschine aus Klappen, Röhren, Fleisch und Fettgewebe?
Aber sechshundertsechsunddreißig Koban , denkt er, reichen aus, die Selbstachtung wiederherzustellen ...
Die Famuli verlassen das Krankenhaus: Jacob hat damit gerechnet, dass Marinus die Vorlesung abbrechen würde, als man ihn rief. Fräulein Aibagawa geht als Letzte, das Gesicht halb verdeckt von einem Sonnenschirm. Jacob biegt rasch in die Knochengasse, als wäre er auf dem Weg zum Speicher Lelie.
Ich übergebe einen verlorenen Gegenstand an seine Besitzerin , beruhigt sich Jacob, mehr nicht.
Die vier jungen Männer, zwei Wachen und die Hebamme biegen in die Kurze Straße ein.
Jacob verliert den Mut, findet ihn wieder und folgt ihnen. «Verzeihung!»
Die Gruppe dreht sich um: Für den Bruchteil einer Sekunde erwidert Fräulein Aibagawa seinen Blick.
Muramoto, der älteste Student, geht auf ihn zu, um ihn zu begrüßen. «Dombāga-san!»
Jacob zieht den Bambushut. «Heute ist wieder ein heißer Tag, Herr Muramoto.»
Er freut sich, dass Jacob sich an seinen Namen erinnert; die anderen schließen sich seiner Verbeugung an. «Heiß, heiß», stimmen sie ihm herzlich zu. «Heiß!»
Jacob verbeugt sich vor der Hebamme. «Guten Tag, Fräulein Aibagawa.»
«Wie», ein schalkhafter Ausdruck tritt in ihre
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