Die tausend Herbste des Jacob de Zoet
er haben Gemeinsamkeit. Heute er weiß, Glaube war richtig.»
Abt Enomoto bittet Yonekizu, ihm das niederländische Wort für «Gemeinsamkeit» zu nennen.
Jetzt erkennt Jacob seinen Gast: Es ist der Mann, der im Saal der Sechzig Matten bei Statthalter Shiroyama saß.
Der Abt lässt sich von Yonekizu Jacobs Namen dreimal vorsprechen.
«Da-zū-to», wiederholt der Abt und erkundigt sich dann bei Jacob: «Ich sage richtig?»
«Eure Exzellenz», antwortet der Sekretär, «sprechen meinen Namen vortrefflich aus.»
«Der Abt», erklärt Yonekizu, «hat Antoine Lavoisier ins Japanische übersetzt.»
Jacob zeigt sich pflichtgemäß beeindruckt. «Kennen Eure Exzellenz vielleicht Doktor Marinus?»
Der Abt lässt seine Antwort von Yonekizu übersetzen: «Abt begegnet Dr. Marinus oft in Shirandō-Akademie. Er hat viel Respekt für niederländischen Gelehrten, er sagt. Aber Abt hat viele Pflichten und kann nicht ganze Leben Naturwissenschaften widmen ...»
Jacob stellt sich vor, wie mächtig sein Gast sein muss, dass er an einem Tag, an dem durch das Erdbeben alles kopfsteht, nach Dejima schlendern und sich ohne die übliche Phalanx von Spitzeln und Wachleuten des Shōguns unter die Ausländer mischen kann. Enomoto fährt mit dem Daumen über die Kisten, als wolle er ihren Inhalt erraten. Er entdeckt den schlafenden Hanzaburo und senkt die Hand über ihn. Hanzaburo murmelt ein paar Silben, wacht auf, erblickt den Abt, schreit auf und lässt sich blitzschnell auf den Boden rollen. Er flieht aus dem Lagerhaus wie ein Frosch vor einer Wasserschlange.
«Junge Männer», sagt Enomoto, «Eile, Eile, Eile ...»
Vor den Doppeltüren wird die Welt langsam dunkel.
Der Abt berührt einen unversehrt gebliebenen Spiegel. «Das ist Quecksilber?»
«Silberoxid, Eure Exzellenz», erwidert Jacob. «Aus italienischer Manufaktur.»
«Silber ist mehr wahr», bemerkt der Abt, «als Kupferspiegel in Japan. Aber Wahrheit ist einfach zu brechen.» Er dreht den Spiegel so, dass Jacobs Spiegelbild darin erscheint, und stellt Yonekizu eine Frage auf Japanisch. Yonekizu sagt: «Exzellenz fragt: ‹In Holland toten Menschen auch fehlt Spiegelbild?›»
Jacob erinnert sich, dass seine Großmutter das immer behauptet hat. «Alte Frauen glauben es, Eure Exzellenz.»
Der Abt versteht und ist mit der Antwort zufrieden.
«Am Kap der Guten Hoffnung», sagt Jacob vorsichtig, «wohnt ein Stamm, der Basuto heißt und glaubt, dass ein Krokodil einen Menschen töten kann, indem es sein Spiegelbild im Wasser beißt. Ein anderer Stamm, die Zulu, meidet dunkle Tümpel, aus Furcht, ein Geist könnte das Spiegelbild packen und so die Seele des Betrachters verschlingen.»
Yonekizu gibt eine gewissenhafte Übersetzung und erklärt Enomotos Antwort. «Abt sagt, Idee ist schön, und möchte wissen: ‹Glaubt Herr de Zoet an Seele?›»
«Daran zu zweifeln, dass es eine Seele gibt», sagt Jacob, «erschiene mir höchst absonderlich.»
Enomoto fragt: «Glaubt Herr de Zoet, dass menschliche Seele kann geraubt werden?»
«Nicht von einem Geist oder einem Krokodil, Eure Exzellenz, aber vom Teufel, ja.»
Mit einem Ha! bekundet Enomoto sein Erstaunen, dass er und ein Fremdländer sich derart einig sein können.
Jacob tritt aus seinem Spiegelbild. «Das Niederländisch Eurer Exzellenz ist hervorragend.»
«Hören schwierig», Enomoto dreht sich um, «sehr froh, Dolmetscher ist hier. Früher ich spreche - sprach - Spanisch, aber jetzt Wissen ist fort.»
«Es ist zwei Jahrhunderte her», sagt Jacob, «dass die Spanier nach Japan kamen.»
«Zeit ...» Enomoto hebt versonnen den Deckel von einer kleinen Kiste: Yonekizu schreit erschrocken auf.
Darin liegt, zusammengerollt wie eine kleine Peitsche, eine Habu-Schlange: Sie erhebt zornig das Haupt ...
... die beiden weißen Giftzähne blitzen auf, ihr Hals neigt sich angriffsbereit zurück.
Zwei Leibwächter stürzen mit gezückten Schwertern auf die Schlange zu ...
... aber Enomoto vollführt mit der flachen Hand eine eigenartige Pressbewegung.
«Sie darf ihn nicht beißen!», ruft Grote. «Er hat noch nicht bezahlt ...»
Aber die Habu beißt nicht: Ihr Körper erschlafft, und sie fällt zurück in ihre Kiste. Das Maul ist starr und weit geöffnet.
Jacob merkt, dass auch er mit offenem Mund dasteht; er blickt hinüber zu Grote, der ängstlich auf die Schlange starrt.
«Eure Exzellenz: Habt Ihr ... die Schlange verhext? Oder ... oder schläft sie?»
«Schlange ist tot.» Enomoto befiehlt einer Wache, das
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