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Die tausend Herbste des Jacob de Zoet

Die tausend Herbste des Jacob de Zoet

Titel: Die tausend Herbste des Jacob de Zoet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Mitchell
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Augen, «geht es Herrn Domburgers Leber?»
    «Schon viel besser. Herzlichen Dank.» Er schluckt. «Ich danke Ihnen.»
    «Ah», sagt Ikematsu mit gespielter Ernsthaftigkeit. «Aber wie geht es In-tus-sus-zep- tion ?»
    «Dr. Marinus’ Zauberkunst hat mich geheilt. Was haben Sie heute studiert?»
    «Shi-wino-sotu», sagt Kajiwaki. «Wenn Husten blutet aus Lunge.»
    «Ah, Schwindsucht. Eine furchtbare Krankheit, und eine sehr häufige noch dazu.»
    Von der Landpforte nähert sich ein Inspektor: Einer der Wachleute beschwert sich bei ihm.
    «Verzeihung», sagt Muramoto, «aber er sagt, wir müssen gehen.»
    «Ja, ich möchte Sie nicht aufhalten: Ich wollte Fräulein Aibagawa», er zieht den Fächer aus der Jackentasche und bietet ihn ihr dar, «nur das hier zurückgeben. Sie hat ihn heute im Krankenhaus vergessen.»
    Sie sieht ihn erschrocken an; ihr Blick sagt: Was machen Sie da!
    Sein Mut verflüchtigt sich. «Sie haben den Fächer in Dr. Marinus’ Krankenhaus liegenlassen.»
    Der Inspektor kommt mit finsterem Blick auf sie zu. Er spricht mit Muramoto.
    Muramoto sagt: «Inspektor möchte wissen, ‹Was ist?›, Herr Dombāga.»
    «Sagen Sie ihm» - ich habe einen furchtbaren Fehler gemacht -, «Fräulein Aibagawa hat ihren Fächer vergessen.»
    Der Inspektor bleibt ungerührt: Er stellt eine kurze Frage und streckt die Hand nach dem Fächer aus wie ein Lehrer, der den Spickzettel eines Schülers einfordert.
    «Er sagt, ‹Bitte zeigen›, Herr Dombāga», übersetzt Ikematsu. «Zu überprüfen.»
    Wenn ich gehorche , denkt Jacob, erfährt ganz Dejima, ja ganz Nagasaki, dass ich sie gezeichnet und das Porträt in Streifen auf den Fächer geleimt habe. Er weiß, dass man dieses freundlich gemeinte Zeichen seiner Wertschätzung missdeuten würde. Die Angelegenheit könnte sogar einen kleinen Skandal auslösen.
    Der Inspektor hat Mühe, den Verschluss zu öffnen.
    Jacob errötet und betet, dass jemand ihn retten möge - egal auf welche Weise.
    Fräulein Aibagawa wendet sich ruhig an den Inspektor.
    Der Inspektor sieht sie an: Seine grimmige Miene hellt sich ein wenig auf ...
    ... er schnaubt belustigt und händigt ihr den Fächer aus. Sie macht eine kleine Verbeugung.
    Jacob ist mit knapper Not davongekommen, aber er erkennt darin eine Warnung.

    Feierlärm hallt durch die sternenhelle Nacht auf Dejima und auch an Land, als wollten die Menschen die bösen Erinnerungen an das Erdbeben von heute Morgen vertreiben. Papierlampions säumen die Hauptstraßen von Nagasaki, und in den Häusern von Wachtmeister Kosugi und Vize van Cleef, in der Dolmetscherzunft und sogar in der Wachstube an der Landpforte werden spontane Trinkgelage abgehalten. Jacob und Ogawa Uzaemon haben sich am Wachtturm verabredet. Ogawa brachte vorsichtshalber einen Inspektor mit, um sich vor dem Vorwurf der Verbrüderung zu schützen, aber der Inspektor war bereits betrunken und döst nun, nachdem er eine weitere Flasche Sake geleert hat, schnarchend vor sich hin. Hanzaburo hockt mit Ouwehands neuestem, schwer gepeinigtem Hausdolmetscher einige Stufen unter der Aussichtsplattform: «Ich habe mich von meinem Herpes befreit», hatte Ouwehand beim Abendappell geprahlt. Ein übervoller Mond ist auf den Berg Inasa aufgelaufen, und Jacob genießt die kühle Brise, auch wenn sie Ruß und Kloakengerüche nach Dejima trägt. «Was sind denn das für Lichtertrauben», er zeigt mit dem Finger, «dort oben über der Stadt?»
    «Mehr Obon -Feiern auf ... wie sagt man? Ort, wo Leichen begraben.»
    «Friedhöfe? Man hält doch keine Feiern auf Friedhöfen ab!» Jacob stellt sich vor, dass die Domburger auf ihren Friedhöfen Gavotten tanzen, und muss fast lachen.
    «Friedhof ist Tor zu Tod», sagt Ogawa, «darum guter Ort, um Seelen in Welt des Lebens zu rufen. Morgen Abend kleine Feuerschiffe fahren auf Meer, um Seelen nach Hause zu führen.»
    Auf der Shenandoah schlägt der Wachoffizier vier Glasen.
    «Glauben Sie wirklich daran», fragt Jacob, «dass Seelen auf diese Weise wandern?»
    «Herr de Zoet glaubt nicht, was man ihm erzählt, als er Junge war?»
    Aber mein Glaube ist der wahre Glaube , Jacob empfindet Mitleid für Ogawa, während deiner nur Götzenverehrung ist.
    Unten an der Landpforte herrscht ein Beamter einen Untergebenen an.
    Ich bin ein Beamter der Kompanie , ruft er sich ins Gedächtnis, kein Missionar.
    «Ist gleich.» Ogawa zieht eine Porzellanflasche aus dem Ärmel.
    Jacob ist schon leicht angetrunken. «Wie viele haben Sie noch darin

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