Die tausend Herbste des Jacob de Zoet
Drang, laut Vermutungen anzustellen.
«Was wir beiden jetzt brauchen, de Zoet, ist etwas zu rauchen. Ich hole uns zwei Pfeifen.»
Con Twomey steigt wie ein stämmiger Neptun aus dem Zuber. Jacob taucht unter, bis nur noch eine kleine Insel aus Lippen, Nase und Augen aus dem Wasser schaut.
Als Twomey zurückkommt, treibt Jacob mit geschlossenen Augen in wohligem Dämmerzustand dahin. Er hört, wie sich der Zimmermann abwäscht und wieder in den Zuber steigt, ohne dass er ein Wort über die Pfeifen verliert. Jacob murmelt: «Dann war wohl kein Krümel Tabak mehr zu bekommen?»
Sein Nachbar räuspert sich: «Ich bin Ogawa, Herr de Zoet.»
Jacob schrickt so heftig auf, dass Wasser aus dem Zuber spritzt. «Herr Ogawa! Ich ... ich dachte ...»
«Sie so friedlich», sagt der Dolmetscher, «ich wollte nicht stören.»
«Ich bin vorhin Ihrem Vater begegnet, aber ...» Jacob wischt sich das Wasser aus den Augen, aber wegen seiner Weitsichtigkeit und den dichten Dampfschwaden kann er im Dunkel nichts erkennen. «Ich habe Sie seit dem Taifun nicht mehr gesehen.»
«Verzeihung, aber ich konnte nicht kommen. Sehr viel ist passiert.»
«Hatten Sie Gelegenheit ... meine Bitte bezüglich des Wörterbuches zu erfüllen?»
«Tag nach Taifun. Ich Diener zu Haus der Aibagawas geschickt.»
«Dann haben Sie das Buch also nicht selbst überbracht?»
«Sehr, sehr zuverlässiger Diener überbrachte Wörterbuch. Er hat nicht gesagt: ‹Paket ist von Niederländer de Zoet.› Er sagte: ‹Paket ist von Krankenhaus auf Dejima.› Es war nicht angemessen für mich zu gehen. Dr. Aibagawa war krank. Besuch zu solcher Zeit ist schlechte ... Erziehung ?»
«Es tut mir leid, das zu hören. Geht es ihm besser?»
«Sein Begräbnis wurde abgehalten vorgestern.»
«Oh.» Das , denkt Jacob, erklärt alles. «Oh. Dann ist Fräulein Aibagawa ...»
Ogawa zögert. «Ich habe schlechte Nachricht. Sie muss Nagasaki verlassen ...»
Jacob wartet geduldig ab, während kondensierter Wasserdampf herabtröpfelt.
«... für lange Zeit, viele Jahre. Sie wird nicht nach Dejima zurückkommen. Von Ihrem Wörterbuch, Ihrem Brief und was sie denkt, ich habe keine Nachricht. Es tut mir leid.»
«Das Wörterbuch ist mir gleichgültig - wo ... wo geht sie hin und warum?»
«Zu Lehen von Fürstabt Enomoto. Mann, der Ihr Quecksilber gekauft ...»
Der Mann, der mit Magie Schlangen töten kann. Das Bild des Abts taucht bedrohlich vor Jacobs Augen auf.
«... er will, sie soll eintreten in Tempel ...», Ogawa stockt die Stimme, «... von weiblichen Mönchen. Wie sagt man?»
«Nonnen? Bitte sagen Sie nicht, Fräulein Aibagawa geht ins Kloster !»
«Ähnlich wie Kloster ... auf Berg Shiranui. Dort sie geht hin.»
«Wozu braucht eine Schar Nonnen eine Hebamme? Will sie denn gehen?»
«Dr. Aibagawa hatte große Schulden bei Geldverleihern, um Teleskop zu kaufen und so weiter.» Schmerz belegt seine Stimme. «Gelehrter sein ist teuer. Seine Witwe muss Schulden jetzt bezahlen. Enomoto macht Vertrag - oder Geschäft - mit Witwe. Er bezahlt Schulden. Sie gibt Fräulein Aibagawa für Kloster.»
«Aber das kommt ja einem Verkauf in die Sklaverei gleich!», ruft Jacob empört.
«Japanische Sitte», Ogawas Stimme klingt dumpf, «ist anders als niederländische ...»
«Was sagen denn die Freunde ihres verstorbenen Vaters in der Shirandō-Akademie dazu? Wollen sie etwa tatenlos Zu sehen, wie eine begabte Studentin verkauft wird wie ein Maultier, um auf einem trostlosen Berg ein Leben in Knechtschaft zu fristen? Würde man einen Sohn auf dieselbe Weise an ein Mönchskloster verkaufen? Enomoto ist doch ebenfalls ein Gelehrter, nicht wahr?»
Durch die Wände hört man die Köche im Dolmetscherhaus lachen.
«Aber», Jacob sieht einen Ausweg, «ich habe ihr Schutz auf Dejima angeboten.»
«Man kann nichts tun.» Ogawa steht auf. «Ich muss jetzt gehen.»
«Dann ... zieht sie die Kerkerhaft dem Leben auf Dejima vor?»
Ogawa steigt aus dem Zuber. Sein Schweigen ist ein unausgesprochener Vorwurf.
Jacob erkennt, wie ungehobelt sein Verhalten dem Dolmetscher erscheinen muss: Ogawa hat eine Menge aufs Spiel gesetzt, um einem liebeskranken Ausländer zu helfen, der dafür jetzt seinen Unmut an ihm auslässt. «Verzeihen Sie mir, Herr Ogawa, aber ...»
Die Tür wird aufgeschoben, und jemand betritt fröhlich pfeifend das Badehaus.
Ein Schatten teilt den Vorhang und fragt auf Niederländisch: «Wer ist da?»
«Es ist Ogawa, Herr Twomey.»
«Guten Abend, Herr Ogawa.
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