Die tausend Herbste des Jacob de Zoet
wünschen, ich übersetze?»
«Ich bitte darum», sagt der Faktor.
«Verbrecher sagt: ‹Erinnern Sie sich an mein Gesicht, wenn Sie Tee trinken.›»
Vorstenbosch verschränkt die Arme. «Versichern Sie ihm, dass ich sein Gesicht in zwanzig Minuten für immer vergessen haben werde. In zwanzig Tagen werden sich nur noch einige Freunde vage an sein Gesicht erinnern. In zwanzig Monaten wird selbst seine Mutter nicht mehr wissen, wie ihr Sohn ausgesehen hat.»
Kobayashi übersetzt mit ernster, genüsslicher Miene.
Die nahe stehenden Zuschauer hören mit und werfen dem Niederländer hasserfüllte Blicke zu.
«Ich übersetze», versichert Kobayashi an Vorstenbosch gewandt, «sehr treu.»
Während Wachtmeister Kosugi den Henker auffordert, sich bereitzumachen, wendet sich Vorstenbosch an seine Landsleute. «Unter unseren Gastgebern, meine Herren, befinden sich einige, die nur darauf warten, dass uns die rechtmäßig geübte Vergeltung im Halse steckenbleibt: Ich bitte Sie, gönnen Sie ihnen dieses Vergnügen nicht.»
«Verzeihung, Herr Faktor», sagt Baert, «ich versteh nicht, was Sie meinen.»
«Du sollst vor dem gelben Gastgeber», sagt Arie Grote, «weder kotzen noch aus den Latschen kippen.»
«Genau so ist es, Grote», sagt Vorstenbosch. «Wir stehen hier als Botschafter unseres Volkes.»
Der ältere Dieb, dessen Kopf in einer Kapuze steckt, ist als Erster dran. Er wird hinunter auf die Knie gedrückt.
Der Trommler trommelt einen eintönigen Rhythmus: Der Henker zieht das Schwert.
Urin färbt den Boden unter dem zitternden Opfer dunkel.
Ivo Oost, der neben Jacob steht, malt mit der Schuhspitze ein Kreuz in den Sand.
Zwei Hunde oder mehr stimmen auf dem Edo-Platz wildes Gebell an.
Gerritszoon murmelt: «An die Arbeit, meine Schöne ...»
Das erhobene Henkersschwert ist blank poliert und schwarz von Öl.
Jacob bemerkt einen Ton, kaum hörbar, aber durchdringend.
Der Trommler schlägt die Trommel zum vierten oder fünften Mal.
Das Geräusch eines Spatens, der in nackte Erde stößt ...
... und der Kopf des Diebes fällt samt Kapuze in den Sand.
Mit einem leisen Pfeifton spritzt Blut aus dem Hals.
Der klaffende Rumpf des Enthaupteten kippt blutspeiend vornüber auf seine Knie.
Gerritszoon murmelt: «Bravo, meine Schöne!»
Ich hin ausgeschüttet wie Wasser , zitiert Jacob mit geschlossenen Augen, meine Zunge klebt mir am Gaumen, und du legst mich in des Todes Staub.
«Famuli», weist Marinus seine Studenten an, «sehen Sie die Aorta, die Jugularvene und das Rückenmark und beachten Sie, dass das venöse Blut dunkel und pflaumenfarben ist, das Arterienblut hingegen scharlachrot wie eine Hibiskusblüte. Sie unterscheiden sich auch im Geschmack: Das arterielle Blut schmeckt metallisch, während das venöse Blut eine fruchtige Note aufweist.»
«Um Himmels willen, Marinus», raunzt van Cleef ihn an. «Muss das sein?»
«So profitiert wenigstens irgendjemand von dieser sinnlosen, barbarischen Tat.»
Jacob beobachtet Unico Vorstenbosch, der sich abseitshält. Peter Fischer schnaubt verächtlich. «Der Schutz von Kompaniebesitz ist eine ‹sinnlose barbarische Tat›? Was wäre, wenn es sich bei dem gestohlenen Gegenstand um Ihr geliebtes Cembalo gehandelt hätte?»
«Ich würde mich von ihm trennen.» Der kopflose Leichnam wird auf den Karren geworfen.
«Vergossenes Blut würde die Hebel verkleben, und es würde nie mehr so klingen wie vorher.»
Ponke Ouwehand fragt: «Was passiert mit den Leichen, Herr Doktor?»
«Die Galle entnimmt man für die Arzneimittelherstellung, dann werden die sterblichen Überreste zur Gaudi eines zahlenden Publikums von Tieren zerfleischt. Das sind die Schwierigkeiten, denen die einheimischen Gelehrten ausgesetzt sind, die hier die Lehre von Anatomie und Chirurgie einführen wollen ...»
Der junge Dieb weigert sich offenbar, die Kapuze aufzusetzen.
Er wird zu der blutgetränkten Stelle gebracht, wo sein Freund enthauptet wurde.
Der Trommler schlägt die Trommel einmal ...
«Das Kopfabhacken», wirft Gerritszoon in die Runde, «ist eine hohe Kunst: Der Scharfrichter muss an das Gewicht des Klienten und die Jahreszeit denken, denn im Sommer sitzt mehr Fett im Genick als zum Ende des Winters, und er muss auch beachten, ob die Haut trocken ist oder nass vom Regen ...»
Der Trommler schlägt die Trommel ein zweites Mal ...
«Ein Pariser Philosoph», erzählt der Arzt seinen Studenten, «wurde in der jüngsten Schreckensherrschaft zum Tode durch die Guillotine
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