Die tausend Herbste des Jacob de Zoet
Herr de Zoet, unsere Pfeife muss warten. Faktor Vorstenbosch möchte Sie in seinem Amtszimmer in einer wichtigen Angelegenheit sprechen. Sofort. Meine Knochen flüstern mir, dass gute Neuigkeiten auf Sie warten.»
«Warum so ein verdrießliches Gesicht, de Zoet?» Der Untersuchungsbericht über die Misswirtschaft auf Dejima liegt vor Unico Vorstenbosch auf dem Schreibtisch. «Haben wir etwa Liebeskummer?»
Jacob ist entsetzt, dass sein Geheimnis offenbar sogar bis zu seinem Förderer vorgedrungen ist.
«Nur ein Scherz, de Zoet! Twomey sagt, ich hätte Sie bei Ihren Waschungen gestört?»
«Ich hatte mein Bad eben beendet, Herr Vorstenbosch.»
«Es heißt, Reinlichkeit sei nach der Gottesfurcht das oberste Gebot.»
«Auf Gottesfurcht erhebe ich keinen Anspruch, aber das Baden schützt vor Läusen, und die Abende werden langsam kühler.»
«Sie wirken in der Tat abgespannt, de Zoet. Habe ich zu viel von Ihnen verlangt ...», Vorstenbosch trommelt mit den Fingern auf den Bericht, «... Ihnen zu viel Arbeit aufgebürdet?»
«Meine Arbeit muss nun einmal getan werden.»
Der Faktor nickt wie ein Richter bei der Zeugenvernehmung.
«Darf ich hoffen, dass mein Bericht Ihre Erwartungen nicht enttäuscht hat?»
Vorstenbosch nimmt den Pfropfen von einer Karaffe mit rubinrotem Madeira.
Im Esszimmer decken Diener den Tisch.
Der Faktor schenkt sich ein Glas ein, ohne Jacob etwas anzubieten. «Wir haben auf gewissenhafte, verdienstvolle Weise hieb- und stichfeste Beweise für die schändliche Misswirtschaft auf Dejima in den neunziger Jahren zusammengetragen, Beweise, die meine Strafmaßnahmen gegen den ehemaligen Faktor Daniel Snitker zur Genüge rechtfertigen ...»
Jacob bemerkt das «Wir» und dass der Name van Cleef nicht erwähnt wird.
«... vorausgesetzt, unsere Beweise werden Gouverneur van Overstraten mit dem nötigen Nachdruck vorgelegt.» Vorstenbosch öffnet die Vitrine hinter sich und holt ein zweites Glas heraus.
«Es besteht wohl kein Zweifel», sagt Jacob, «dass Kapitän Lacy diese Aufgabe vortrefflich erfüllen wird.»
«Warum sollte sich ein Amerikaner für Korruption in der Kompanie interessieren, solange er seinen Gewinn davonträgt?» Vorstenbosch füllt das Glas und reicht es Jacob. «Anselm Lacy ist kein Kreuzritter, sondern ein angeheuerter Seemann. In Batavia würde er den Bericht pflichtbewusst dem Privatsekretär des Generalgouverneurs übergeben und keinen weiteren Gedanken daran verschwenden. Der Privatsekretär würde ihn sehr wahrscheinlich in einer Schublade verschwinden lassen und die Männer, die Sie benennen, - und Snitkers Kumpane - warnen, worauf diese in Erwartung unserer Rückkehr ihre Langmesser wetzen. Nein. Die Ursachen von Dejimas Krise, die Maßnahmen zu ihrer Bewältigung und die Angemessenheit von Snitkers Strafe müssen von jemandem erläutert werden, dessen Zukunft mit der Kompanie verknüpft ist. Darum, de Zoet, werde ich ...», er hebt das Pronomen überdeutlich hervor, «... auf der Shenandoah zurück nach Batavia segeln und den Fall persönlich vortragen.»
Das Ticken der Almelo-Uhr übertönt den sanften Nieselregen und das Zischen der Öllampe.
«Und was für eine Aufgabe», fragt Jacob mit fester, klangloser Stimme, «haben Sie für mich?»
«Sie werden bis zur nächsten Handelszeit hier in Nagasaki Ohren und Augen für mich offen halten.»
Ohne seinen Schutz , befürchtet Jacob, werde ich innerhalb einer Woche gefressen sein ...
«Aus diesem Grund ernenne ich Peter Fischer zum neuen Kontorleiter.»
Das Rattern der Konsequenzen übertönt das Ticken der Uhr.
Ohne einen hohen Dienstrang , denkt Jacob, bin ich ein Schoßhund, den man in einen Bärenzwinger wirft.
«Der einzige Kandidat für den Posten des Faktors», sagt Vorstenbosch, «ist Herr van Cleef.»
Dejima , denkt Jacob bange, ist weit, weit fort von Batavia.
«... aber was halten Sie von: Stellvertretender Faktor Jacob de Zoet?»
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XIII
Der Fahnenplatz auf Dejima
Morgenappell am letzten Oktobertag 1799
«Es ist wie ein Wunder ...», Piet Baert blickt hinauf in den Himmel, «... der Regen hat aufgehört.»
«Hab schon gedacht», sagt Ivo Oost, «uns blühen vierzig Tage Dauerregen.»
«Im Fluss trieben Leichen», bemerkt Wybo Gerritszoon. «Boote haben sie mit langen Stangen aus dem Wasser gefischt.»
«Herr Kobayashi?» Melchior van Cleef ruft lauter: «Herr Kobayashi!»
Kobayashi dreht sich um und blickt vage in van Cleefs Richtung.
«Es gibt noch viel zu tun, bevor die
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