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Die tausend Herbste des Jacob de Zoet

Die tausend Herbste des Jacob de Zoet

Titel: Die tausend Herbste des Jacob de Zoet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Mitchell
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genug , der Dolmetscher wartet, das Blut zu sehen?
    Das Hämmern auf dem Dach vom Speicher Lelie verstummt.
    «Vortrefflich», sagt Vorstenbosch. «Überbringen Sie Statthalter Ōmatsu meinen Dank.»

    Im Speicher Doorn taucht Jacob die Feder in die Tinte und schreibt auf die noch leere Titelseite: Wahrhafter und vollständiger Untersuchungsbericht der Misswirtschaft auf Dejima während der Amtszeiten von Gijsbert Hemmij und Daniel Snitker - einschließlich der Korrekturen an den gefälschten Hauptbüchern, wie sie von den Vorgenannten eingereicht wurden. Er überlegt kurz, seinen Namen darunter zu schreiben, aber der voreilige Gedanke verflüchtigt sich. Sein Mentor Vorstenbosch hat jedes Recht, die Arbeit seines Untergebenen als die seine auszugeben. Und vielleicht , denkt Jacob, ist es sicherer so. Jeder Ratsherr in Batavia, der seine illegalen Gewinne durch Jacobs Bericht beschnitten sieht, könnte einen einfachen Sekretär mit einem einzigen Federstrich vernichten. Jacob legt ein Löschpapier aufs Blatt und drückt es gleichmäßig an.
    Es ist geschafft, denkt der Sekretär mit müden Augen.
    Eine Taube gurrt oben auf dem Fenstersims.
    Ouwehands durchdringende Stimme schallt aus der Knochengasse und verklingt.
    Ob Dejima nun kurz vor der Schließung steht oder nicht, die Neuigkeiten des Vormittags haben die Faktorei aus ihrer Lethargie gerissen. Das Kupfer - viele Hundert Kisten - wird innerhalb der nächsten vier Tage eintreffen. In sechs Tagen, so will es Kapitän Lacy, soll alles verladen sein, damit die Shenandoah in einer Woche absegeln kann, bevor es Winter wird und sich das Chinesische Meer in eine peitschende See mit berghohen Wellen verwandelt. Fragen, auf die Vorstenbosch den Sommer über immer wieder ausweichend geantwortet hat, müssen in den nächsten Tagen geklärt werden. Dürfen die Männer nur die karge Menge an privaten Handelsgütern ausführen, die offiziell erlaubt ist, oder so viel, wie sie es unter Vorstenboschs Vorgängern gewohnt waren? Noch werden in Windeseile kühn Geschäfte mit Kaufleuten getätigt. Wer wird der neue, besser bezahlte Kontorleiter und Leiter der Versandstelle - Peter Fischer oder Jacob de Zoet? Und wird Vorstenbosch meine Untersuchungen ausschließlich dazu verwenden, Daniel Snitker hinter Schloss und Riegel zu bringen , fragt sich Jacob, als er den Bericht in sein Portefeuille steckt, oder werden auch andere Köpfe rollen ? Die Schmugglerclique, die ihre Geschäfte von Batavias Speichern aus betreibt, hat Freunde bis hinauf in den Indienrat, aber Jacobs Bericht liefert einem reformfreudigen Generalgouverneur ausreichend Belege, um allen das Handwerk zu legen.
    Einer spontanen Eingebung folgend, klettert Jacob die aufgetürmten Kisten hinauf.
    Hanzaburo nuschelt «Hä?» und schläft weiter.
    Von William Pitts Schlafplatz aus sieht Jacob rotgefärbte Ahornbäume auf den erschöpften Bergen.
    Orito ist gestern nicht zum Seminar im Krankenhaus erschienen ...
    Und auch Ogawa ist seit dem Taifun nicht mehr auf Dejima gewesen.
    Aber ein bescheidendes Geschenk , beruhigt er sich, kann doch unmöglich ihren Ausschluss bewirkt haben ...
    Jacob schließt die Fensterläden, klettert wieder nach unten, nimmt die Aktenmappe, scheucht Hanzaburo hinaus in die Knochengasse und schließt den Speicher ab.
     
    An der Kreuzung trifft Jacob auf Eelattu. Der Malaie stützt einen hageren jungen Mann, der eine weite, über den Fesseln zusammengebundene Handwerkerhose, eine wattierte Jacke und einen europäischen Hut trägt, wie er vor fünfzig Jahren in Mode war. Jacob bemerkt die eingefallenen Augen des jungen Mannes, die fahle Gesichtsfarbe und den schleppenden Gang, und sein erster Gedanke ist: Schwindsucht. Eelattu wünscht Jacob einen guten Morgen, stellt seinen Begleiter aber nicht vor, der, wie der Sekretär erst jetzt erkennt, kein reinblütiger Japaner ist, sondern Eurasier, mit braunem Haar und Augen so rund wie seine eigenen. Der Besucher nimmt Jacob gar nicht zur Kenntnis, sondern schlurft die Lange Straße hinunter auf das Krankenhaus zu.
    Regen fällt in Fäden auf die ummauerte Kulisse.
    «Mitten im Leben begegnen wir dem Tod, was?»
    Hanzaburo fährt erschrocken zusammen, und Jacob lässt die Mappe fallen.
    «’tschuldigung, wenn wir Sie erschreckt haben, Herr de Z.» Arie Grote wirkt alles andere als betrübt.
    Piet Baert taucht mit einem schweren Sack über der Schulter neben Grote auf.
    «Halb so schlimm, Herr Grote.» Jacob hebt die Mappe auf. «Ich werde es

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