Die Teeprinzessin
dann noch mit Ihrem Tee?«
»Den brauche ich, um meine Versprechen zu halten!«
»Aber ich verstehe Sie nicht, Miss!«, flehte Sikki sie an. »Sie sind doch gerade erst aufgewacht. Und nun wollen Sie mit Ihrem Tee wegfahren? Mister Jocelyn kommt bald wieder. Er freut sich auf Sie und er hat auch eine Überraschung für Sie!«
»Danke, aber die Überraschung ist ihm bereits gelungen!«
Betty zog, ohne lange nachzudenken, die Schuhe an, die Sikki eilig ausklopfte und ihr hinhielt. Nun schlüpfte sie in ihren Unterrock und in die Bluse, nahm ihren Sari und schlang ihn sich um den Körper. Der Stoffbeutel, der ihr bereits auf dem Weg nach Indien gute Dienste geleistet hatte, hing als Erinnerungsstück
über dem goldenen Knauf des Schrankes. Nun nahm Betty ihn zur Hand und warf fast wahllos einige persönliche Gegenstände hinein, das winzige Beutelchen mit ihren eigenen Silbermünzen, den Kamm, den ihr noch der Vater gemacht hatte, ein Tuch für den Kopf. Die Spange mit dem blauen Hasen drehte sie einen Moment lang in den Händen, dann schmiss sie sie ebenfalls in den Beutel. Vielleicht gelang es ihr, das Schmuckstück irgendwo zu verkaufen. Das war das Beste, was sie damit tun konnte.
»In wie vielen Stunden werden Sie zurückkommen, Miss? Und wer wird Sie begleiten? Sie machen doch nur eine Spazierfahrt, Miss?« Sikkis Stimme hatte inzwischen die grelle Farbe der Angst angenommen. »Was soll ich Mister Jocelyn ausrichten?«
Betty überlegte. »Richte ihm am besten... gar nichts aus. Er ist bereits über alles im Bilde.«
Sikki sah nun aus, als ob sie gleich in Tränen ausbrechen würde.
Betty neigte den Kopf. »Vielen Dank, Sikki, für alles, was du für mich getan hast. Ich werde dich nie vergessen. Lebe wohl!«
Nun rannen Tränen über Sikkis Gesicht. »Was kann ich denn tun, um Sie von Ihrem Entschluss abzubringen? Es ist doch so schön hier! Ich liebe meine Heimat. Meine Familie ist hier, meine Eltern und meine Brüder. Ich würde sehr gern hierbleiben!«
Betty wühlte in einer Stofftasche, um nachzuschauen, ob sie den Kamm eingesteckt hatte. »Du hast es falsch verstanden. Ich reise ab, Sikki, nicht du!«
Sikki schüttelte den Kopf. »Nein, Miss, bei allem Respekt, Sie haben es falsch verstanden. Wenn Sie abreisen, so reise auch ich ab. Ich bin Ihre Dienerin.«
Betty sah sie einen Moment lang erschrocken an. »Wer hat das gesagt? Mister Jocelyn?«
Sikki nickte unglücklich.
»Gut. Hiermit bist du entlassen!«
»Sie können mich nicht entlassen. Ich bin Ihre Dienerin. Sie können mich nur töten!« Ihre Unterlippe zitterte und der Strom ihrer Tränen verstärkte sich noch. Dann sank sie auf die Knie. »Bitte, töten Sie mich nicht! Ich flehe Sie an. Ich werde in Zukunft alles viel besser machen und mir viel mehr Mühe geben. Ich verspreche es!«
Betty ließ sich auf das Bett fallen. »Aber du hast doch gar nichts getan! Zum Kuckuck!«
Sikki schüttelte wild den Kopf. »Doch, ich trage die Verantwortung dafür, dass Sie abreisen. Wo Mister Jocelyn Sie doch so sehr liebt! Und das Traurigste ist...«, sie schluchzte jetzt so heftig, dass man kaum noch verstehen konnte, was sie sagte, »dass ich nicht weiß, was ich getan habe. Das zeigt meine große Dummheit. Und wie unwürdig ich bin, Ihnen zu dienen.«
Betty seufzte. Sikki tat ihr unendlich leid. Aber ihr Entschluss stand trotzdem fest. »Gut«, sagte sie, »dann kommst du eben mit mir. Unter einer Bedingung. Dass du den Namen von John Francis Jocelyn nicht mehr erwähnst!«
»Ich verspreche es!« Sikkis Gesicht hellte wieder auf.
»Und jetzt steh bitte wieder auf. Ich will nicht, dass jemand vor mir kniet!«
»Aber das dürfen Sie bitte nicht sagen, Miss!«, platzte es aus Sikki heraus. »Ich möchte eine Herrin haben, vor der ein jeder gern kniet! Sie müssen wissen, ich bin keine gewöhnliche Dienerin, ich habe zuvor im Haus von Lady Campbell gedient und sie gebadet und mit ihr geplaudert, bevor Sie hierherkamen. Ich bin die beste Dienerin in Darjeeling. Jeder weiß es.
Ich spreche Deutsch, Englisch, Panjabi und Hindu und sogar etwas Chinesisch, und ich könnte auch noch Portugiesisch lernen, wenn Sie es möchten!«
»Wieso Portugiesisch?« Betty hatte das Gefühl, dass es hinter ihren Schläfen brannte.
»Falls Sie es wollen«, antwortete Sikki treuherzig. »Ich kann jede Sprache sehr schnell lernen, ich habe eine Begabung da für. Alles würde ich für Sie tun. Auch für Sie sterben. Nur nicht Schuhe putzen, das nicht. Wussten Sie
Weitere Kostenlose Bücher