Die Teeprinzessin
übrigens, dass Mister Jocelyn Earl Campbell einen ganzen Hügel mit Teepflanzen geschenkt hat, damit ich sofort in sein Haus komme und für Sie, seine künftige Braut, arbeiten kann? Er hat Wunderbares von Ihnen erzählt, also habe ich mich sehr auf Sie gefreut, aber Ihre Schönheit und Ihr wundervoller Charakter haben alle meine Träume noch übertroffen.« Sie stockte. »Mister Jocelyn hatte gesagt, dass Sie etwas ganz Besonderes sind, eine Prinzessin, die nicht von Adel ist, sondern eine, die vom Himmel gefallen ist und die sogar das Geheimnis des Tees kennt. Und das stimmt ja auch! Alle Arbeiter in den Teegärten erzählen, was passiert ist, als Sie dort waren. Der Himmel soll eine besondere Roséfarbe angenommen haben und Mister Jocelyn war noch nie so glücklich. Man sah es ihm an.« Sie hielt sich die Hand vor den Mund. »Nun habe ich zwei Mal seinen Namen gesagt! Bitte entschuldigen Sie!«
Betty seufzte. »Können wir nicht einfach Freundinnen sein?«
Sikki wischte sich das Gesicht an einem Zipfel ihres Saris ab und schüttelte wild den Kopf. Ihre Stimme war jetzt ganz fest. »Nein, das geht nicht. Ich bin ja Ihre Dienerin.«
»Dann sorge bitte dafür, dass der Tee verladen wird. Mein großes Gepäck nehme ich nicht mit, es ist unhandlich. Und die Silberkisten bleiben hier.«
Sikki bemühte sich, ihren Befehl so schnell zu befolgen, dass sie beinahe zur Tür herausrannte.
»Und, Sikki, bitte sage allen Dienern, dass sie kein Wort darüber verlieren dürfen, wohin wir fahren oder nicht fahren. Wer sich nicht daran hält, den bringe ich um!«
»Das geht nicht«, rief Sikki. »Sie können nur mich töten. Seine eigenen Diener darf nur Mister Jocelyn selbst töten!« Sie hielt sich erschrocken die Hand vor den Mund. »Oh bitte, verzeihen Sie mir, dass ich schon wieder den Namen von Mister Jocelyn erwähnt habe!« Es sah aus, als ob sie abermals auf die Knie fallen würde.
»Ich möchte so bald wie möglich losfahren!« Betty schloss die Augen. Es war nun fast völlig hell geworden.
Sie hörte, wie Sikki draußen mit lauter Stimme die Diener an den Tongas herumkommandierte. Unterdessen schien das ganze Haus wach geworden zu sein. Die Diener aus beiden Häusern hatten sich vor den drei Tongas versammelt. Teepflückerinnen auf dem Weg zur Arbeit schnallten ihre Rückenkörbe ab, drehten sie um und lehnten sich daran, während sie zusahen, was geschah. Als Betty in ihrem Sari in den Garten hinaustrat, ging ein Raunen durch die Zuschauermenge. Betty sah, dass mehr und mehr Bewohner der Stadt zusammenströmten.
Die aufgehende Sonne beleuchtete die Teegärten und die Spitzen der Berge im Hintergrund. Das Licht war schmerzhaft schön. Hatte Francis ihr schon das Herz gebrochen, so würde der Abschied von Darjeeling auch noch ihre Seele zerschneiden. Betty wünschte inständig, dass diese Tortur sie auf der Stelle umbringen würde, aber so war es nicht. Im Gegenteil. Sie fühlte sich körperlich stark und kräftig. Es war, als ob ihr Körper die Oberhand über ihre Gefühle gewonnen hatte und nun triumphierte. Sikki wartete vor der dritten Tonga, die
nur halb beladen war, und half ihrer Herrin, auf den Wagen hinauf, dann kletterte sie selbst hinterher.
»Wir müssen noch sagen, wohin wir wollen«, flüsterte sie Betty zu.
»Wir fahren nach Hamburg«, antwortete Betty.
»Ist das Ihre Heimat?« Sikki sah sie mit großen Augen an.
Aber Betty schüttelte nur den Kopf.
6
Während der Tage ihres Abstiegs aus den Bergen und wäh rend der Überquerung des großen Flusses war es neblig gewesen. Es war, als ob die Natur Bettys Abschied vor den Augen der Neugierigen verbergen wollte. Als sie am Beginn des fünften Tages nach Kalkutta kamen, war jedoch aller Nebel verdunstet und die frühe Hitze hatte jeden noch so kleinen Tropfen Wasser aus dem Boden gezogen. Staub flog von den Wegen auf, die Gesichter der Kinder an den Straßenrändern waren grau.
Betty hatte die Tongas vor dem Laden von Mister Tiliri halten lassen, aber an diesem Tag kamen keine Helfer herbeigelaufen, um die Pferde zu tränken oder sie wenigstens am Zügel zu halten, und noch weniger, um den Tee zu bewachen.
Obwohl sie unterwegs jede Nacht in einem der Gasthäuser gerastet hatten, hatte Betty dort fast gar keinen Schlaf mehr gefunden. Müde war sie dennoch nicht. Sie kletterte aus dem Wagen und stellte fest, wie kräftig sie sich fühlte, stark und traurig zugleich. Sie würde bei Mister Tiliri eine Passage nach Hamburg buchen. Sikki sollte
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