Die Teeprinzessin
Handelsreisenden aus Europa es ohnehin nicht lernten, den Namen auszusprechen. Das zweistöckige Gebäude lag zur einen Seite direkt am Wasser, sodass seine Grundmauern offenbar von den grauen Fluten des Perlflusses umspült wurden, zur anderen Seite erstreckte sich eine belebte Straße. Der Wirt, ein älterer Chinese mit einem langen Bart, schien Mister Burman tatsächlich wiederzuerkennen. Jedenfalls begrüßte er ihn überschwänglich und verstand auch, dass die beiden Damen in seiner Gesellschaft ebenfalls ein Zimmer verlangten, ein günstiges, wie Mister Burman dem Wirt ohne Umschweife klarmachte.
Betty war erleichtert, als der Wirt tatsächlich zustimmte, ihnen für zwei Schilling die Woche ein Zimmer und tägliches heißes Wasser für den Tee zu geben, obwohl das Zimmer für Mister Burman vier Schillinge kosten sollte. Draußen trommelte der Regen aufs Dach. Als Betty den Hals reckte, um aus der geöffneten Flurtür nach draußen zu sehen, schwamm eben eine Ratte vorbei. Mister Burman verabschiedete sich eilig, es war ihm anzusehen, dass er bereits mit der Planung seiner Geschäfte befasst war. Dann stieg er hinauf in die obere Etage.
Betty nickte ihm zu und wollte ihrerseits die steilen Treppen erklimmen, als sie das »Nee! Nee!« des Wirtes hörte. »Zimmer
hier unten«, sagte er und verbeugte sich. »Oben teuer. Unten billig.« Betty wechselte einen Blick mit Sikki, die nun vorausging.
Das Zimmer war ein Raum, der diesen Namen kaum verdiente. Wie es aussah, lag es komplett unterhalb des Wasserspiegels, es gab kein Fenster, und man betrat es, indem man vom Flur her eine steile Stiege hinunterkletterte. Sikki konnte hier eben noch stehen, Betty aber nicht. Sie zuckte zurück, als feuchte Staubfäden, die von der Decke herabhingen, ihre Haare berührten. Als Licht diente eine schwache Ölfunzel. »Weich schlafen!«, strahlte der Wirt, der ihnen geschwind hinterhergeklettert war, und zeigte auf eine Bambusmatte, die in einer Ecke ausgebreitet war.
»Haben Sie noch andere Zimmer?« Gegen dieses Loch erstrahlte selbst die Erinnerung an den Eiskeller der Tollhoffs in warmem Licht.
Der Wirt nickte begeistert. »Ja, viele gute Zimmer, die sehr schön sind. Kosten acht Schillinge die Woche!«
»Aber von Mister Burman nehmen Sie nur vier Schillinge!« Betty war entschlossen, diesen Raum gegen einen würdigen einzutauschen.
»Mister Burman ist ein Mann und Sie sind zwei Frauen. Frauen immer viel teurer!«
Betty wäre am liebsten sofort wieder nach oben geklettert, aber Sikki hielt sie zurück. »Es wird bald dunkel, Miss. Sind Sie sicher, dass wir heute Abend noch eine bessere Unterkunft als diese finden werden?«
Betty schüttelte den Kopf. Dann sank sie auf die Bastmatte, stopfte sich ihren Tragebeutel als Kissen unter den Kopf und rollte sich sogleich, so gut es ging, zusammen. Viel mehr als ein paar Tücher und das Beutelchen mit ihrem letzten Silbergeld besaß sie nicht mehr. Unter ihrer Schläfe spürte sie einen harten
Gegenstand. Das war die Brosche, die Francis ihr in Darjeeling zurückgegeben hatte. Doch die Liebe, deren Pfand das Schmuckstück sein sollte, hatte sie verspielt. Sie würde versuchen, die Brosche zu verkaufen. Vielleicht gab ihr das ein wenig mehr Zeit.
Sikki legte sich neben sie, und es tat gut, ihre Körperwärme zu spüren und die Entschlossenheit, sie, wenn es sein musste, auch gegen die Angriffe von Ratten zu verteidigen.
So lebendig Kanton auch war, richtig schrill wurde es erst, als der Regen versiegte und die Nacht hereinbrach. Draußen lärmten und riefen Menschen, Kinder weinten, Hunde bellten, Hühner schrien, jemand sang, sogar eine Glocke wurde geläutet. Spät in der Nacht traf eine Gruppe heiterer Engländer im Gasthaus ein und bezog lärmend einen Raum über dem ihren. Bei jedem ihrer Schritte bogen sich die Bohlen, sodass Betty sogar den schwachen Schein ihrer Öllampe sehen konnte und die schwere Schuhcreme roch, mit der einer der Männer seine Stiefel hatte polieren lassen. Als Betty endlich einschlafen konnte, war sie so nass geschwitzt, als habe sie in ihrem Sari gebadet.
War das die Hölle? Oder hatte sie sie noch nicht gesehen? Wie lange hatte sie geschlafen? War es draußen immer noch finster oder war bereits die Sonne aufgegangen? »Aufwachen, Miss, ich habe Tee für uns!«
Betty öffnete die Augen und sah in das lächelnde Gesicht von Sikki. »Ich war draußen und habe etwas entdeckt. Schnell, trinken Sie, und dann müssen Sie mitkommen!«
Betty streckte
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