Die Teerose
Zug. Man kaufte eine Fahrkarte und stieg ein. Wenn das nun nicht stimmte? »Muß man … buchen … wenn man auf ein Schiff will?« fragte sie und fürchtete sich vor der Antwort.
»O ja, sicher. Es ist eine schrecklich komplizierte Prozedur, um auf ein Schiff nach Amerika zu kommen. Eine Menge Leute müssen untergebracht werden. Aber das wissen Sie ja sicher, sonst würden Sie nicht zu dem heutigen Schiff fahren, nicht wahr?« Ihr verblüffter Ausdruck sagte ihm, daß sie keine Ahnung hatte. »Hm … nun ja«, begann er, »vielleicht sind noch Plätze frei. Man kann ja nie wissen. Vielleicht mußte jemand stornieren. Gehen Sie, gleich nachdem wir angekommen sind, zum Ticketschalter, und fragen Sie nach, ob noch etwas frei ist. Ich paß solange auf Master Seamie auf.«
»Würden Sie das tun?«
»Das ist doch das mindeste, was ich tun kann.«
Die Fahrt in der Droschke dauerte nicht lange. Nicholas bezahlte den Kutscher, nachdem er sich am Bahnhof nach dem Preis erkundigt hatte, und Fiona gab ihm die Hälfte des Fahrpreises. Gemeinsam gingen sie am Kai der White-Star-Linie zum Fahrkartenschalter. Dort herrschte ein unglaubliches Chaos. Hunderte von Leuten drängten sich mit Überseekoffern, Kisten und schweren Koffern vorbei.
»Erste Klasse!« rief ein Mann in Uniform. »Erste Klasse bitte an Bord. Hier entlang, bitte.«
Nicholas führte Fiona zu der Reihe der Anstehenden und setzte sich dann, um mit Seamie zu warten.
»Ja?« bellte der Angestellte.
»Ja, bitte … zweimal nach New York.«
»Ich kann dich nicht hören, Kleine!«
Sie räusperte sich. »Kann ich bitte zwei Karten fürs Zwischendeck haben? Für das heutige Schiff?«
»Das heutige Schiff ist seit zwei Wochen ausverkauft. Das für nächste Woche ist auch ausgebucht. Wir verkaufen Tickets für das in zwei Wochen, für die Republic.«
»In zwei Wochen?« Sie geriet in Panik. Sie konnten keine zwei Wochen warten. Das würde heißen, sie müßten zwei Wochen in einem Hotel in Southampton bleiben. Das würde Unsummen kosten. Sie wollte jetzt fort, heute. Sie dachte wieder an William Burton und den Ausdruck in seinen Augen. Hatten sie die Suche nach ihr aufgegeben? Was, wenn Sheehan herausfand, wohin sie gegangen war? War Burton wütend genug, um sie aufspüren zu lassen? Der Gedanke flößte ihr entsetzliche Angst ein.
»Also, in zwei Wochen, Zwischendeck, ja?«
»Ich kann nicht so lang warten. Sind Sie sicher, daß auf dem heutigen Schiff nichts mehr frei ist?«
»Das hab ich doch gesagt, oder? Wenn Sie keine der nächsten verfügbaren Passagen wollen, treten Sie bitte zur Seite. Sie halten die Leute auf.«
Das war’s dann. Sie und Seamie kämen nicht auf das Schiff. Sie saßen in Southampton fest. Sie kannte die Stadt nicht und hatte keine Ahnung, wie sie eine billige, anständige Unterkunft finden sollte. Sie hatte eine Menge Geld, aber sie wußte, daß sie vorsichtig damit umgehen mußte. Sie konnte die Fahrkarten nach New York damit bezahlen, es würde ihnen über den Anfang hinweghelfen, und sie mußte darauf achten, daß es für eine Weile reichte.
Sie ging zu Nicholas hinüber, um Seamie und ihre Habseligkeiten zu holen. Sie war müde und verwirrt und hatte keine Ahnung, wohin sie gehen oder was sie als nächstes tun sollte. Vielleicht fand sie ein billige Teestube, trank eine Tasse und ruhte sich eine Minute aus. Dann konnte sie sich überlegen, wie es weitergehen sollte.
»Wie ist es gelaufen?« fragte Nicholas hoffnungsvoll.
Sie schüttelte den Kopf. »Nichts mehr frei. Wir fahren in zwei Wochen.«
»Das ist wirklich großes Pech. Tut mir sehr leid, das zu hören. Werden Sie in Southampton zurechtkommen? Haben Sie einen Platz, wo Sie bleiben können?«
»Ja, das haben wir«, antwortete sie, weil sie keine weiteren Scherereien machen wollte. »Danke, daß Sie auf Seamie aufgepaßt haben, Mr. Soames. Und viel Glück für Sie in New York.«
»Ihnen auch, Miss Finnegan.«
Beunruhigt über den Ausdruck im Gesicht des Mädchens, beobachtete Nicholas Soames, wie seine neue Bekannte davonging. Es war nicht nur Enttäuschung oder Frustration, es war Angst. Sie sah zutiefst verängstigt aus. Er sollte ihr irgendwie helfen. Der kleine Junge war müde. Vielleicht konnte er … nein, das würde nicht funktionieren, es war eine lange Reise, und sie waren Fremde. Wer wußte schon, wie sie sich benehmen würden?
Ach, zum Teufel. Er hatte eine Schwäche für Heimatlose. Vielleicht würde er seine Tat bereuen, vielleicht auch nicht. Ganz
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