Die Teerose
stellte und sich wieder setzte.
»Ja, alles bestens«, antwortete Fiona.
»Bis Mittwoch hab ich deine Blumenkästen neu bepflanzt, mein Mädchen«, sagte Alec.
»Wirklich?« fragte sie erfreut. »Alle?«
»Ja, die neuen Pflanzen sind soweit. Ich muß bloß die alten rausnehmen und ein bißchen Erde aufschütten, bevor ich sie einsetzen kann. Sie werden hübsch.«
Gerade als Seamie ihr die Namen der Pflanzen aufzählte, die er und Alec heute eingetopft hatten, hörte sie die Tür aufgehen, gefolgt von schweren schlurfenden Schritten im Gang. Es war Michael. Fiona spürte Unmut in sich aufsteigen, weil sie sich sicher war, daß er Geld von ihr wollte. Gewöhnlich kam er nicht so früh von Whelan’s zurück.
Mary warf Fiona einen Blick zu. »Glaubst du, er kommt zu uns rein?« flüsterte sie.
»Da müßtest du zur Pastete schon Whiskey servieren«, antwortete Fiona verächtlich. Inzwischen hatte sie alle Hoffnung aufgegeben, daß ihr Onkel je mit dem Trinken aufhören würde.
»Wie lang ist es her, daß er was Ordentliches gegessen hat? Er sollte eine richtige Mahlzeit zu sich nehmen.«
»Ich weiß, Mary. Ich versuch’s ja. Immer stell ich ihm einen Teller mit Resten hin. Manchmal ißt er sie, manchmal nicht.«
»Du solltest ihn bitten hereinzukommen.«
»Er hört nicht auf mich. Probier du’s.«
»Na schön, ich werde ihn fragen.«
»In diesem Jahrhundert oder im nächsten?« brummte Alec.
»Unterhaltet euch normal weiter«, sagte Mary. »Wenn er denkt, wir reden über ihn, kommt er nicht rein.«
»Was wir ja tun«, erwiderte Alec.
Fiona begann, die Unterhaltung wiederaufzunehmen, als wäre nichts Ungewöhnliches passiert.
»Michael?« rief Mary leichthin. »Bist du das?«
Nach ein paar Sekunden Stille war ein brummiges »Ja« zu hören.
»Bist du hungrig? Ich hab eine Steak-Zwiebelpastete gemacht. Es ist noch eine Menge übrig.«
Fiona nickte zustimmend. Mary machte ihre Sache gut. Sie versuchte, ein argwöhnisches, verwundetes Tier anzulocken, das wahrscheinlich eher mit eingezogenem Schwanz davonlief, als die ausgestreckte Hand zu lecken.
Wieder Schweigen. Dann: »Steak und Zwiebel?«
»Ja, komm her, iß einen Bissen.«
Fiona riß vor Staunen die Augen auf, als sie ihren Onkel in Richtung Küche gehen hörte. Er stand in der Tür, hielt die Mütze in der Hand, und sie bemühte sich, sich nichts anmerken zu lassen. Bei seinem Anblick spürte sie gleichzeitig Sorge und Ärger in sich aufsteigen. Er war so mager wie ein streunender Hund, mindestens dreißig Pfund leichter als auf dem Foto, das Molly ihnen geschickt hatte, doch sein Gesicht war so aufgeschwemmt wie das eines Ertrunkenen. Sein Haar war lang und struppig, seine Kleider schmutzig, er war nicht rasiert und roch wie eine Pinte.
»Hallo, Michael«, sagte Mary lächelnd. »Möchtest du eine Tasse Tee zu deiner Pastete?«
»Ja«, antwortete er ruhig. »Gern.«
»Also, dann setz dich. Hier, zwischen mich und Fiona. Ian, rück ein bißchen.«
»Ist schon gut«, antwortete er. »Ich eß im anderen Zimmer.«
»Sei nicht albern. Du kannst doch keinen Teller und die Teetasse auf den Knien balancieren. Setz dich.«
Michael setzte sich, ohne einen der anderen anzusehen. Mary stellte einen gefüllten Teller vor ihn und legte Besteck und Serviette daneben. Fiona goß ihm Tee ein.
»Danke«, sagte er. Mit zitternden Händen hob er die Tasse und trank. »Das ist guter Tee«, fügte er hinzu.
»Das ist der neue, den ich bei Millard’s gekauft hab«, sagte Fiona. »Er kommt aus Indien.«
Michael nickte. Er sah Fiona an, hob leicht das Kinn und sagte: »Ich trinke Tee zum Abendessen, keinen Whiskey. Egal, was andere darüber denken mögen.«
Du hast verdammt gute Ohren, dachte Fiona. »Gut für dich«, antwortete sie. »Whiskey verdirbt den Geschmack am Essen, und Marys Pastete ist köstlich. Ich hab nie eine bessere gegessen.«
»Ach komm«, erwiderte Mary lachend und gab sich bescheiden.
»Das stimmt, Mama«, warf Ian ein. »Gibt’s noch Kartoffelbrei?«
»Hier, bitte.«
»Kannst du mir auch die Soße rüberreichen?«
Sie spielten ein Spiel, gaben sich harmlos und versuchten, Michael nicht zu beachten. Ian stellte die Sauciere ab und bat um die Erbsen. Alec bat um eine weitere Tasse Tee. Seamie rülpste, und Fiona befahl ihm, sich zu entschuldigen. Es war, als folgten sie einem einstudierten Ritual, als hätten sie die letzten zwanzig Jahre jeden Abend zusammen gegessen. Es gab keine Vorhaltungen, kein Anflehen, keinen Tadel. Damit
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