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Die Teerose

Die Teerose

Titel: Die Teerose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Donnelly
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sie machten, welchen Mordslärm sie veranstalteten, was für eine Plage sie waren, daß sie sein ganzes Geld verbrauchten, aber jeden Abend, wenn er heimging, hatte er ein Päckchen mit Kirschen, Stachelbeeren oder zerbrochenen Plätzchen unterm Arm, die er billig beim Bäckerstand bekommen hatte. Seine Klagen waren nur gespielt, aber Joe gab vor, ernsthaft darauf einzugehen.
    »Ja, da hilft nichts«, antwortete er, und Ed nickte. Joe wartete, daß er ging, aber Ed trödelte herum. Er rüttelte an dem Vorhängeschloß, sah in den Nachthimmel hinauf und sagte einen klaren, warmen Junisonntag voraus, dann fügte er verlegen hinzu: »Hör zu, es geht mich ja nichts an, aber warum nimmst du nicht was von dem Geld, das ich dir gegeben hab, und gehst ins Pub runter? Vergnügst dich ein bißchen? Du solltest nicht soviel allein sein, ein junger Bursche wie du.«
    »Vielleicht ein andermal. Heut abend bin ich völlig erledigt«, antwortete Joe. »Ich geh Baxter füttern, striegel ihn gut und leg mich bald hin.«
    Es seufzte. »Na, wie du willst.«
    »Gute Nacht, Ed. Bis Montag.«
    »Gute Nacht, Junge.«
    Joe ging nach Westen. Drei Straßen weiter befand sich eine Reihe von Ställen, in denen einige der Standbesitzer ihre Pferde und Wagen unterbrachten. Einer gehörte Ed, und er erlaubte Joe, im Heuschober zu schlafen. Ed war froh, daß er dort war und auf alles ein Auge hielt, und Joe war froh, daß er nicht für einen Schlafplatz in einer Herberge voller Ungeziefer zahlen mußte.
    Seit er vor sechs Wochen Millies Haus verlassen hatte, lebte er so, aß kaum und verrichtete Tagelöhnerarbeiten in Covent Garden. Eines Tages war er hungrig und schwach vor einem Pub gestolpert und hingefallen. Ein freundlicher Mensch hatte ihm aufgeholfen. Zu seinem Erstaunen war es Matt Byrne, ein junger Mann aus der Montague Street, der jetzt in Covent Garden arbeitete. Matt erkannte ihn und fragte ihn, was mit ihm geschehen sei. Bei einem Essen im Pub, wozu Matt ihn unbedingt einladen wollte, erzählte ihm Joe, daß seine Ehe vorbei und er wieder allein sei. Er habe Schwierigkeiten, eine Arbeit zu finden, weil Tommy Peterson die Parole ausgegeben habe, ihn nicht einzustellen. Vor Wut schnaubend, erklärte Matt, er solle seinen Freund Ed Akers aufsuchen, der eine Hilfe brauche. Ed habe sein eigenes Geschäft, sagte er. Peterson gehöre nicht alles in Covent Garden. Noch nicht.
    Sein neuer Job war nichts Großartiges – nur Verkaufen und die Waren an Händler und kleine Läden ausliefern – ein ziemlicher Abstieg, verglichen mit seiner früheren Position bei Peterson’s, aber besser, als hungern zu müssen, und er war dankbar dafür. Von einem Altwarenhändler kaufte er zwei Decken und machte sich ein Bett im Heuschober. Sein Essen besorgte er sich in Garküchen, und einmal in der Woche badete er in einem öffentlichen Bad. Es war ein hartes Leben, aber es gefiel ihm. Es gab ihm die Mittel, sich zu erhalten und nachts allein zu sein, und er sehnte sich nach Einsamkeit.
    Eine Schar lauter, ausgelassener Fabrikmädchen in Samstagabendaufmachung ging an ihm vorbei. Eines lächelte ihn an. Er sah weg. Hinter ihnen schlenderte Hand in Hand ein junges Paar einher. Er beschleunigte seine Schritte. Joe war nicht ehrlich gewesen zu Ed. Er war nicht müde, sondern ertrug einfach keine Menschen mehr um sich. Es quälte ihn, glücklich verliebte Paare zu sehen, das Lachen der Fabrikmädchen zu hören. Einst war er wie sie gewesen – fröhlich, hoffnungsvoll, neugierig, was der Tag bringen mochte. Inzwischen verletzte er jeden, den er berührte. Alles, was er anrührte, zerstörte er.
    Er trat in eine Garküche und kaufte sich Würstchen im Teigmantel. Das Lokal war nicht mehr als ein Loch in der Mauer, aber es gab zwei schäbige Tische, und das Mädchen hinter der Theke, eine hübsche Brünette mit freundlichem Lächeln, lud ihn ein, sein Essen im Sitzen zu verzehren, statt wie sonst gleich wieder hinauszurennen. Kurz angebunden, lehnte er ab und wollte nur in seinen Stall zurück, wo außer ihm keine Seele war – außer Baxter und einem alten schwarzen Kater, der sich gern neben ihm einrollte, wenn er schlief.
    Draußen schien kein Mond, nur die Sterne waren zu sehen, und er brauchte eine Weile, bis er seinen Schlüssel ins Schloß stecken konnte. Drinnen tastete er nach der Laterne, die, wie er wußte, links neben der Tür hing, die Streichhölzer lagen dicht daneben. »Hallo, Baxter!« rief er. »Wo bist du, mein Junge?«
    Baxter, ein

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