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Die Teerose

Die Teerose

Titel: Die Teerose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Donnelly
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hatten sowohl Mary als auch Fiona Schiffbruch erlitten. Nur Akzeptanz, ein gutes Essen, Gesellschaft und Unterhaltung. Mit gesenktem Kopf und entsetzlich befangen, machte Michael den Eindruck, als wäre das mehr, als er zu hoffen gewagt hatte.
    Um ihn in die Unterhaltung einzubeziehen, stellte ihm Fiona eine Frage. »Ich dachte, es wäre eine gute Idee, Schutzgitter an den Fenstern anzubringen, Onkel Michael. Weißt du, wo man die kriegt? Ich finde, wir sollten sie in beiden Wohnungen einbauen lassen.«
    »Schutzgitter? Wofür?«
    »Für Nell. Sie fängt bald zu laufen an, und man kann nicht vorsichtig genug sein.«
    Als würde sie auf ein Stichwort reagieren, krähte Nell aus ihrem Korb, der unter dem Küchenfenster stand. Michael erstarrte und legte seine Gabel weg.
    O Gott, dachte Fiona, gleich nimmt er Reißaus. Schnell stand sie auf, in der Hoffnung, dies zu verhindern. »Da ist unser Mädchen!« sagte sie fröhlich und hob ihre Cousine heraus. »Sie muß gerade aufgewacht sein. Wie sie überhaupt bei dem Lärm schlafen kann, ist mir ein Rätsel.« Sie setzte sich mit dem Baby auf dem Schoß wieder an den Tisch. »Kann sie etwas von dem Kartoffelbrei haben?« fragte sie Mary.
    »Sicher. Und ein bißchen Brot mit Soße. Paß nur auf, daß sie nichts von den Zwiebeln erwischt. Die mag sie nicht.«
    Alec fragte Mary, ob sie die Kartoffelschalen für seinen Kompost aufgehoben habe. Ian und Seamie zogen Grimassen. Fiona fütterte Nell mit Kartoffelbrei. Und Michael saß wie erstarrt da und sah sein Kind an.
    »Kann ich sie mal halten?« fragte er plötzlich mit kaum hörbarer Stimme.
    Fiona reichte ihm das Baby. Er schob seinen Stuhl zurück und nahm seine Tochter. Fiona sah die Bewegung auf seinem Gesicht und wußte, daß er an Molly dachte. Lauf nicht weg, betete sie insgeheim. Bleib bei ihr.
    »Eleanor Grace«, sagte er mit zitternder Stimme. »Was für ein hübsches Mädchen bist du doch.«
    Nell saß auf dem Schoß ihres Vaters, die riesigen blauen Augen auf sein Gesicht gerichtet. An ihrer Stirn pochte eine Ader. »Bah, bah, dah!« erklärte sie schließlich.
    Michael sah ungläubig auf. »Sie hat Pa gesagt« rief er aus. »Sie hat Pa gesagt! Sie kennt mich!«
    »Ja, das hat sie. Sie kennt dich«, sagte Fiona, wohl wissend, daß Nell zu allem bah und dah sagte.
    »Dah! Dah!« krähte das Baby und hüpfte auf seinem Schoß.
    Gutes Mädchen, Nell, weiter so, feuerte Fiona sie insgeheim an. Sie warf Mary einen Blick zu, die vor Freude ganz außer sich war. Mit zitternder Hand berührte Michael die Wange seiner Tochter. Nell packte seinen Daumen und lutschte daran.
    »Ganz ihre Mutter«, sagte Michael. »Ganz wie meine Molly.« Und dann legte er die Hand übers Gesicht und begann zu weinen. Dicke Tränen liefen über seine Backen und fielen auf Nells Kleid, Schluchzen erschütterte seinen Körper. Der Schmerz strömte aus ihm heraus wie Sommerregen über eine ausgetrocknete Landschaft und fegte alle Schutzwälle weg, die er aufgerichtet hatte, um ihn zurückzuhalten, schwemmte Zorn und Verbitterung fort.
    »Gütiger Himmel, was für ein Getue wegen eines Kinds«, murmelte Alec.
    Mary warf ihrem Schwiegervater einen scharfen Blick zu. »Ist schon gut, Michael«, beruhigte sie ihn. »Wein dich nur aus. Das war höchste Zeit. Es ist keine Schande, eine Frau wie Molly zu beweinen. Laß es nur raus. Das tut dir gut.«
    »Ich wünschte, sie wär hier, Mary«, sagte er mit erstickter Stimme. »Ich wünschte, sie könnte Nell sehen.«
    Mary nickte. Sie nahm seine Hand und drückte sie. »Sie ist hier, Michael. Und sie kann Nell sehen.«

   32   
    H ast du die Hintertür überprüft?« fragte Ed Akers, als Joe die Läden herunterließ und seinen Stand verschloß.
    »Ja.«
    »Und die Pfirsiche? Sind sie hoch oben, wo die Mäuse nicht an sie rankommen?«
    »Ja. Die Kirschen auch. Ich hab mich um alles gekümmert, Ed.«
    »Guter Junge«, sagte Ed und klopfte Joe auf den Rücken. »Hier, da hast du was extra.« Joe dankte ihm. »Nicht der Rede wert. Der Stand läuft besser denn je. Du könntest am Strand Sand verkaufen. Also, das wär’s dann. Bin den ganzen Tag meiner Alten und ihrem Haufen Teufel aus dem Weg gegangen, aber irgendwann muß ich wohl heim, oder?«
    Joe lächelte. »Das läßt sich wahrscheinlich nicht vermeiden«, antwortete er. Ed war um die Vierzig und hatte zwölf Kinder. Es gefiel ihm, sich über seine Frau und seine Kinder zu beklagen – Mrs. Akers und ihre Plagen, wie er sie nannte. Welchen Radau

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