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Die Teerose

Die Teerose

Titel: Die Teerose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Donnelly
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kastanienbrauner Wallach, wieherte in seiner Box. Joe hängte die Laterne an einen Holzpfahl und ging hinüber, um das Pferd am Ohr zu kraulen. Baxter schnupperte an Joes Jackentasche.
    »Keine Würstchen für dich, alter Junge. Sie behaupten, es sei Schweinefleisch, aber ich hab da meine Zweifel. Könnte einer von deiner Sorte drin sein, und ich will dich nicht zum Kannibalen machen. Das ist ein Kapitalverbrechen, Bax. Man würde dich aufhängen, und was würden wir dann machen? Da, nimm die statt dessen.« Er zog zwei Karotten heraus und gab sie dem Pferd. Dann führte er das Tier aus seiner Box und ließ es frei herumlaufen. Es mußte nicht angebunden werden. Baxter war ein Gentleman.
    Während das Pferd ihn mit großen schwarzen Augen anblinzelte, striegelte Joe es mit festen rhythmischen Streichen vom Hals über den Rücken zu den Schenkeln. Als sein Fell glänzte, kämmte er mit den Fingern seine Mähne. Baxter hätte die Karotten und das Striegeln nicht nötig gehabt, aber Joe sagte sich, das Pferd brauche die Pflege, um bei Laune und gefügig zu bleiben. Tatsächlich jedoch war er es, der die allabendliche Routine benötigte. Er mußte sich um ein lebendiges Wesen kümmern, etwas pflegen, um die schmerzliche Leere in sich auszufüllen, um seine Gedanken von all dem Leid abzulenken, das er verursacht hatte.
    Von einem Pub in der Nähe drangen Lachen und Singen herüber. Er fühlte sich entsetzlich einsam und vollkommen isoliert. Das Bewußtsein, daß ein kurzer Gang ihn in einen hellen Tanzsaal voller ausgelassener Leute bringen würde, verstärkte sein Einsamkeitsgefühl nur noch. Er konnte nicht mehr lachen. Was er getan hatte, bedrückte ihn zu sehr. Die Reue zermarterte ihn.
    Einmal, als er etwa zehn Jahre alt war, mußten zwei seiner Freunde eines Samstagabends früher von einem Fußballspiel weggehen, weil sie zur Beichte mußten. Er fragte, was das sei, und sie erklärten ihm, sie müßten einem Priester ihre Sünden gestehen, sie bereuen, und dann kämen sie in den Himmel. Joe wollte mit ihnen gehen. Auch er wollte in den Himmel kommen, aber sie sagten, das sei nicht möglich. Das könnten nur Katholiken, und er war Methodist. Aufgeregt war er nach Hause gelaufen. Seine Großmutter Wilton, die ihn und seine Geschwister hütete, während seine Eltern auf dem Markt arbeiteten, fragte, was los sei.
    »Ich muß in die Hölle für meine Sünden, weil ich Gott nicht sagen kann, daß sie mir leid tun«, stieß er hervor.
    »Wer hat das gesagt?«
    »Terry Fallon und Mickey Grogan.«
    »Hör nicht auf sie. Das ist bloß fauler Zauber. Die Papisten können ihre Marien anbeten, bis sie schwarz werden. Das hilft ihnen auch nichts. Wir werden nicht für unsere Sünden bestraft, Junge. Wir sind durch sie bestraft.«
    Das tat ihm gut, aber hauptsächlich fühlte er sich besser, weil sie ihn umarmte und ihm ein Plätzchen gab. Damals war er noch zu klein, um ihre Worte zu verstehen, aber jetzt wußte er, was sie meinte. Früher, als er mit Fiona zusammen war und sie all ihre Träume und Hoffnungen hatten, war der Himmel für ihn auf Erden. Jetzt kannte er nur Verzweiflung. Seine Großmutter hatte recht. Gott mußte ihn nicht bestrafen, er hatte sich seine eigene Hölle geschaffen. Durch seine Taten.
    Traurig drehte er sich auf den Rücken und legte die Hände hinter den Kopf. Von seinem Schlafplatz aus konnte er durchs Dachfenster in den dunklen, sternenübersäten Himmel sehen. Ein Stern blitzte heller als die anderen. Er erinnerte sich, wie er diesen Stern ansah – vor vielen Jahren, wie es schien – und ihm sagte, daß er Fiona liebte. Daß sie bald zusammensein würden. Er fragte sich, wo auf der großen weiten Welt sie war. Der Privatdetektiv, den er angeheuert hatte, hatte sie nicht gefunden, und Roddy hatte ebenfalls kein Glück gehabt. Joe betete, daß sie in Sicherheit war, wo immer sie auch sein mochte. Er fragte sich, ob sie je an ihn dachte, ihn vermißte. Wie lächerlich solche Fragen waren. Nach dem, was er ihr angetan hatte. Sicherlich haßte sie ihn, wie Millie ihn haßte, wie Tommy ihn haßte. Wie er sich selbst haßte.

   33   
    D u solltest es sehen, Fee! Es ist absolut perfekt! Das Fenster geht über die ganze Vorderseite. Der Raum ist geradezu von Licht erfüllt. Und er ist riesig. Hab ich dir das schon gesagt? Ich kann leicht dreißig Bilder an die Wände hängen und in der Mitte des Raums noch mal zehn auf Staffeleien stellen. Ich laß den Boden abziehen, dann die Wände streichen und

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