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Die Teerose

Die Teerose

Titel: Die Teerose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Donnelly
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mit dem Bäcker, dem das Brot gestohlen wurde? Was ist mit ihm? Hat er keine Familie zu ernähren?« fragte Will junior mit erhobener Stimme.
    »Um Himmels willen! Es war ein Laib Brot und nicht seine Ladenkasse …«
    Will hielt sich zurück, während Will junior und Nellie ihre Debatte weiterführten. Er liebte seinen Sohn, aber er fand, daß er – wie viele seiner Generation – rücksichtslos dem Geld nachjagte und kein Mitleid mit den weniger Begünstigten hatte. Schon oft hatte er ihn daran erinnert, daß sowohl die McClanes wie die Van der Leydens, die Familie seiner Mutter, auch einmal Einwanderer gewesen waren. Genau wie die Mitglieder aller reichen Familien der Stadt. Aber Wills Vorhaltungen machten keinen Eindruck auf seinen Sohn. Er war Amerikaner. Und diejenigen, die in Castle Garden vom Schiff stiegen, nicht. Sie waren Italiener, Chinesen, Polen – die Nationalität spielte keine Rolle. Sie waren faul, dumm und schmutzig. Ihre große Anzahl ruinierte das Land. Diese Intoleranz hatte der Junge nicht von seinen Eltern gelernt. Und sie war das einzige, was Will an ihm nicht mochte.
    Als er Will junior betrachtete, der jetzt vor Nellie gestikulierte, fragte er sich, was er von Fiona halten würde. Er wußte die Antwort: Er wäre entsetzt, wenn er wüßte, daß sein Vater sich mit einer Frau traf, die für ihren Lebensunterhalt arbeitete, die zu der Einwandererklasse gehörte, die er verachtete.
    »Nein, Nellie! Sie haben unrecht!« rief er mit zu schriller Stimme aus, wie sein Vater fand. Will wollte ihn gerade zurechtweisen, als sie von einem lauten, aufdringlichen »Hallo, ihr Lieben!« unterbrochen wurden. Will unterdrückte ein Seufzen. Der kam ihm gerade recht. Es war Peter Hylton, der Verfasser von »Peters Klatschecke«, einer Kolumne in der World, einem neuen Phänomen in allen Zeitungen, das als Gesellschaftsnachrichten bekannt war. Sie hatten zum Ziel, die Leser mit den Affären und Vergnügungen der reichen New Yorker zu unterhalten, und Peters Klatschecke war die beliebteste Seite in der Zeitung geworden, die keinen unwesentlichen Anteil daran hatte, die ohnehin hohe Auflage noch weiter zu steigern. Niemand gab zu, dies zu lesen, aber alle taten es. Wenn in seiner Kolumne ein Theaterstück gelobt wurde, rissen sich die Leute um Karten. Wenn er ein Lokal heruntermachte, schloß es innerhalb einer Woche.
    Will hielt die Kolumne für einen grauenvollen und unverantwortlichen Mißbrauch der Presse. Hylton mißachtete die einfachsten Anstandsregeln. Er dachte sich nichts dabei, zu schreiben, daß ein bestimmter Kohlebaron in Begleitung einer Dame, die nicht seine Gattin war, in der Oper gesehen worden sei. Oder daß der Verkauf eines Hauses an der Fifth Avenue auf die Verluste seines Besitzers auf der Rennbahn zurückzuführen seien. Vor kurzem hatten die Zeitungen begonnen, Fotos zu drucken, und oft ließ Hylton seine Fotografen mit ihren infernalischen Blitzlichtern vor Restaurants und Theatern Stellung beziehen. Mehr als einmal war Will davon geblendet worden. Er mochte den Mann nicht, und Will junior verachtete ihn. Vor drei Jahren, als Will junior seinen ersten Anlauf für einen Sitz im Kongreß genommen hatte, hatte Hylton über seine Begeisterung für Chorus-Tänzerinnen geschrieben. Damals war er noch nicht verheiratet, aber solche Neigungen kamen in der Öffentlichkeit schlecht an. Er verlor die Wahl. Er hatte Hylton verklagt, den Prozeß aber verloren. Hylton habe ihn beschrieben, aber niemals seinen Namen genannt. Als er von Will juniors Anwalt in die Zange genommen wurde, leugnete er, ihn gemeint zu haben, sondern einen anderen jungen Geschäftsmann aus einer prominenten Familie. Will junior mußte die Sache auf sich beruhen lassen.
    »Hylton!« zischte sein Sohn jetzt. »Was zum Teufel machen Sie hier?«
    »Ich gehe zum Essen, mein lieber Junge. Ich bin jetzt Mitglied. Wußten Sie das nicht? Bin gerade aufgenommen worden.«
    »Dann werde ich austreten! Ich unterstütze doch keinen Club, der Schmierfinken wie Ihnen und ihr den Zutritt erlaubt«, sagte er, mit dem Daumen in Nellies Richtung deutend.
    »Ich bin der Schmierfink«, sagte Nellie pikiert. »Peter verdient den Titel nicht.«
    Will junior ignorierte sie. »Ihr beide glaubt, eure Nasen in anderer Leute Angelegenheiten stecken und alles ausposaunen zu können, was? Alles ist in Ordnung, solange ihr nur Futter für euer verdammtes Schmierblatt kriegt!«
    Peter, ein kleiner, dicker Mann, der gern leuchtende Farben und Goldschmuck

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