Die Teerose
Schwester meiner Mutter, meiner Tante Evie, aufgezogen wurden.«
Sie nickte. Sie wußte, daß ihr Vater als Kind seine Eltern verloren hatte. Seine Mutter war im Kindbett gestorben und sein Vater kurz darauf. »Weshalb?« hatte sie einmal gefragt. »Aus Kummer«, hatte er geantwortet. Er sprach nie viel von seinen Eltern. Sie dachte immer, er sei zu klein gewesen, um sich an sie zu erinnern.
»Also«, fuhr er fort, »bevor Michael und ich nach Dublin kamen, lebten wir mit unserer Mutter und unserem Vater auf einer kleinen Farm in Skiberreen. An der Küste der Grafschaft Cork.«
Fiona hörte gespannt zu. Sie hatte ihre Großeltern mütterlicherseits gekannt, bevor sie gestorben waren, aber von den Eltern ihres Vaters wußte sie nichts.
»Meine Eltern haben 1850 geheiratet«, fuhr er fort und trank einen Schluck Tee, »ein Jahr nach der letzten schlimmen Hungersnot. Mein Vater wollte früher heiraten, konnte aber deswegen nicht. Es war so schlimm damals … na, du hast viele Geschichten darüber gehört, Fiona, aber damals hat ein Mann kaum genug Essen auftreiben können, um selbst was in den Magen zu kriegen, ganz zu schweigen davon, eine Familie zu ernähren. Die beiden hatten eine schwere Zeit, beide hatten ihre Familie verloren. Mein Vater hat oft gesagt, das einzige, was ihn am Leben gehalten hat, war die Hoffnung, meine Mutter zu heiraten.«
Paddy stellte seinen Becher ab, stützte die Ellbogen auf die Knie und lehnte sich nach vorn. Ein kleines trauriges Lächeln spielte um seine Mundwinkel und seine Augen. »Er war verrückt nach ihr, verstehst du? Hat sie angebetet. Sie kannten sich schon seit Kindertagen.
Sie haben beide gearbeitet, meine Mutter und mein Vater. Sie wußten beide, was Hunger hieß, und wollten ganz sichergehen, daß er sie nie plagen würde. Ich war ihr erstes Kind. Dann kam Michael. Ich war vier, als er auf die Welt kam. Als ich sechs war, war meine Mutter wieder schwanger. Es ging ihr schlecht, die ganze Schwangerschaft hindurch. Daran kann ich mich erinnern, obwohl ich erst ein kleiner Junge war.«
Während Paddy über seine Kindheit sprach, begann sich sein Gesicht zu verändern. Die Erinnerungen an die Vergangenheit ließen sein bittersüßes Lächeln verschwinden, seine Augen wurden dunkel und traurig, und die feinen Linien, die seine Wangen und Stirn durchzogen, wirkten plötzlich tiefer.
»Als ihre Zeit gekommen war, ging mein Vater los, um die Hebamme zu holen. Mich ließ er zurück, um mich um meine Mutter und meinen Bruder zu kümmern. Meiner Mutter ging es schlecht, nachdem er fort war. Sie krallte sich an die Bettkanten und gab sich größte Mühe, nicht laut aufzuschreien. Ich versuchte, ihr zu helfen, rannte raus, machte die Taschentücher von meinem Vater an der Pumpe naß und drückte sie ihr auf die Stirn.
Als die Hebamme endlich ankam, warf sie einen Blick auf meine Mutter und sagte meinem Vater, er solle den Priester holen. Er wollte sie nicht allein lassen. Wollte sich keinen Zentimeter von ihr fortrühren, bis die Frau ihn anschrie: ›Geh’n Sie los, Mann!‹ Gehen Sie, um Himmels willen! Sie braucht einen Priester!«
Er brauchte nicht weit zu gehen und kam kurz darauf mit Pater McMahon zurück. Das war ein großer Mann, so steif wie ein Stock. Michael und ich saßen am Küchentisch. Die Hebamme hatte uns aus dem Schlafzimmer gescheucht. Mein Vater und der Priester gingen hinein, aber sie scheuchte auch meinen Vater hinaus. Er kam in die Küche und setzte sich vors Feuer, rührte sich nicht und starrte bloß in die Flammen.«
Genau wie du, dachte Fiona, und hatte großes Mitleid mit ihrem Vater, der mit hängenden Schultern, die großen, starken Hände vor sich gefaltet, dasaß.
»Ich saß am nächsten zur Schlafzimmertür und hab sie hören können. Die Hebamme, Mrs. Reilly war ihr Name, und den Priester. Sie sagte ihm, daß meine Mutter stark blutete, daß sie schwach war, und daß man sich entscheiden müßte.
›Retten Sie das Kind‹, sagte der Priester.
›Aber, Pater‹, hörte ich sie sagen, ›sie hat noch zwei andere, um die sie sich kümmern muß, und einen Ehemann, Sie wollen doch sicher nicht …‹
›Sie haben mich gehört, Mrs. Reilly‹, antwortete er. ›Das Baby ist nicht getauft. Sie gefährden seine unsterbliche Seele und Ihre eigene, wenn Sie warten.‹«
Also hat Mrs. Reilly das Baby aus ihr rausgeholt. Gott weiß, wie. Es hat kaum einen Laut von sich gegeben, das arme Ding. Ein paar Minuten später hab ich brennende Kerzen
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