Die Teerose
gerochen und den Priester auf lateinisch beten hören. Mein Vater hat es auch gehört. Er rannte ins Schlafzimmer. Ich lief hinter ihm her und sah, wie er den Priester wegschob, meine Mutter in die Arme nahm, sie wiegte wie ein Kind und ihr leise vorsang und ihr zuflüsterte, während sie starb…« Paddys Stimme brach ab, er schluckte schwer. Das Baby wurde Sean Joseph getauft, nach meinem Vater. Der Priester hat ihm den Namen gegeben. Eine Stunde später war es ebenfalls tot.
Mein Vater ist lange bei meiner Mutter geblieben. Es dämmerte schon, als er sie endlich losließ. Der Priester war bereits zu den Nachbarn gegangen, den McGuires, um Abendessen zu kriegen und Mrs. McGuire zu bitten, sich um uns zu kümmern. Mrs. Reilly hat das Baby aufgebahrt. Mein Vater hat seine Arbeitsjacke angezogen und mir aufgetragen, mich um meinen Bruder zu kümmern. Er war unheimlich ruhig. Wenn er getobt und die Möbel zerschlagen hätte, hätte er vielleicht etwas von seinem Schmerz rauslassen können. Aber das konnte er nicht. Ich hab seine Augen gesehen. Sie waren tot. Es war kein Funken mehr in ihnen, keine Hoffnung.«
Paddy hielt inne und fuhr dann fort: »Zu Mrs. Reilly hat er gesagt, daß er nach den Tieren sehen will. Er ist nie mehr zurückgekommen. Als es dunkel wurde, ging sie in den Stall. Die Tiere waren gefüttert und getränkt worden, aber er war nicht da. Sie lief übers Feld und holte Pater McMahon und Mr. McGuire, damit sie ihn suchen gingen. Am nächsten Morgen hat man ihn gefunden. Am Fuß einer Klippe, wo er und meine Ma vor ihrer Hochzeit immer spazierengegangen sind. Sein Rückgrat war gebrochen, die Wellen leckten an seinem zerschmetterten Kopf.«
Paddy nahm mit blicklosen Augen den Becher und trank wieder einen Schluck.
Der Tee muß inzwischen kalt sein, dachte Fiona. Ich sollte ihn aufwärmen für ihn. Ihm frischen Toast machen. Sie tat weder das eine noch das andere.
»Der Priester hat meine Tante aus Dublin holen lassen, und wir sind bei den McGuires geblieben, bis sie zwei Tage später gekommen ist. Die Beerdigung für meine Mutter und das Baby war am gleichen Tag, an dem sie ankam. Ich kann mich noch genau daran erinnern. Ich hab die ganze Sache durchgestanden, den offenen Sarg, die Messe, hab zugesehen, wie sie meine Mutter in die Erde hinunterließen und meinen kleinen Bruder in einer winzigen Holzkiste neben ihr. Ich hab keine Träne im Kirchhof vergossen. Ich hab gedacht«, sagte er plötzlich auflachend, »ich hab gedacht, vielleicht können sie mich sehen, und ich wollte nicht weinen, damit sie stolz auf mich sein konnten.
Am nächsten Tag hat der Priester die Beerdigung für meinen Vater gehalten, falls man das so bezeichnen kann. Ich hab zugesehen, wie man ihn auf dem Stück Erde voller Brennesseln begraben hat, auf das er hinuntergesprungen war. Und dann, o Gott, sind meine Tränen geflossen, und ich hab weinend dagestanden und mich gefragt, warum er nicht neben meiner Mutter begraben wurde, wo er hingehörte. Zusammen mit Sean Joseph. Ich hab’s nicht verstanden. Niemand hat mir gesagt, daß der Priester verboten hatte, einen Selbstmörder im Kirchhof zu begraben. Ich hab an nichts anderes denken können, als daß mein Vater ganz allein dort draußen war, mit niemandem zusammen als dem Wellenschlag. So kalt … so einsam … ohne meine Mutter neben ihm …« Tränen quollen aus Paddys gequälten Augen und rannen über seine Wangen hinab. Er senkte den Kopf und weinte.
»O Pa …«, rief Fiona und drängte ihre eigenen Tränen zurück. Sie kniete sich neben ihm nieder und legte den Kopf auf seine Schulter. »Wein nicht, Pa«, flüsterte sie, »wein doch nicht …«
»Der verdammte Priester hatte kein Recht, das zu tun«, sagte er heiser. »Ihr gemeinsames Leben war heilig, heiliger als alles in der elenden Kirche von diesem elenden Mistkerl.«
Fiona tat das Herz weh vor Mitgefühl für diesen kleinen Jungen, der ihr Vater war. Sie hatte ihn nie weinen sehen, nicht so. Ihm waren die Tränen gekommen während der langen und schweren Wehen ihrer Mutter bei Eileen und Seamie. Und während der zwei Fehlgeburten, die sie vor Seamie hatte. Jetzt wußte sie, warum. Und warum er nie in den Pub ging, während ihre Mutter niederkam, so wie es die anderen Väter taten.
Paddy hob den Kopf. Er wischte sich mit dem Handrücken die Augen ab und sagte: »Tut mir leid, Fee. Das kommt sicher vom Bier.«
»Ist schon gut, Pa«, erwiderte Fiona, erleichtert darüber, daß er nicht mehr weinte. Sie
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