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Die Teerose

Die Teerose

Titel: Die Teerose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Donnelly
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auf seine Familie achten. Aufpassen, daß ihr nichts passiert.«
    Davey erstarrte. Heftiger als Schmerz, als Zorn und Furcht, spürte er jetzt einen grenzenlosen Haß in sich aufsteigen. Er wußte, daß er ihm ins Gesicht geschrieben stand, aber das war ihm egal. Er saß in der Falle. Wenn er Burton nicht gab, was er wollte, würde seine Familie den Preis dafür bezahlen. Er selbst hätte sich geopfert, aber sie würde er nicht opfern. Und das wußte der Mann. »Shane Patterson …«, begann er, »Matt Williams … Robbie Lawrence … John Poole …«
    Als er mit der Aufzählung der Namen fertig war, sagte Burton: »Wer ist der Anführer?«
    Davey zögerte. »Niemand. Es ist noch niemand bestimmt worden … sie haben noch …«
    »Wer ist der Anführer, Mr. O’Neill?«
    »Patrick Finnegan.«
    »Sehr gut. Besuchen Sie weiterhin die Versammlungen und halten Sie Mr. Curran auf dem laufenden. Wenn Sie das tun, sehn Sie meine Anerkennung in Ihrer Lohntüte. Wenn nicht oder wenn Sie dumm genug sind, irgend jemandem zu erzählen, was hier heute nacht passiert ist, wird Ihre Frau sich wünschen, Sie hätten’s nicht getan. Gute Nacht, Mr. O’Neill. Zeit für Sie, heimzugehen und sich zu pflegen. Sie haben eine ganze Menge Blut verloren. Wenn jemand fragt, was mit Ihrem Ohr passiert ist, sagen Sie, daß Sie überfallen wurden. Weil der Dieb nichts bei Ihnen fand, hat er Sie verletzt. Bei dem Nebel haben Sie nicht gesehen, in welche Richtung er davongelaufen ist.«
    Davey erhob sich benommen. Er zog sein Taschentuch heraus und drückte es an den Kopf. Als er über den Kai taumelte, konnte er Burton noch reden hören.
    »Der Anführer … Finnegan. Wer ist das?«
    »Ein eingebildetes Großmaul. Aber ein guter Arbeiter. Ich werd ihn mir vorknöpfen.»
    »Ich möchte, daß an ihm ein Exempel statuiert wird.«
    »Was ist das, Sir?«
    »Ich möchte, daß er einen Denkzettel kriegt. Das werde ich Sheehan machen lassen. Sie werden von ihm hören.«
    Paddy … mein Gott … was hab ich getan? schluchzte Davey, krank vor Scham. Er taumelte aus den Dockanlagen in die nebelverhangene Straße hinaus. Ihm war schwindelig, und er fühlte sich schwach. Er stolperte über einen Pflasterstein und rutschte aus, schaffte es aber, sich an einem Laternenpfahl aufzurichten. Das Herz hämmerte in seiner Brust. Er legte seine blutverschmierte Hand darauf und stieß einen gequälten Schrei aus. Jetzt war er ein Verräter, ein Judas. Unter seiner Haut, unter seinen Rippen, hatte er kein Herz mehr, sondern ein fauliges, zuckendes Ding, schwarz, gebrochen und stinkend.

   4   
    F ionas Hände zitterten, als sie die Teeblätter, die sie gerade abgewogen hatte, in eine Dose schüttete. Sie wußte, daß sie nicht aufsehen durfte. Wenn er sie dabei erwischte, würde sie rausgeworfen werden. Das war sicher der Grund, weshalb er hier war – um jemanden rauszuwerfen. Warum sonst würde William Burton zu einem Überraschungsbesuch vorbeikommen? Um ihnen eine Lohnerhöhung zu geben? Sie hörte seine langsamen, gemessenen Schritte, als er vorbeiging, und spürte seinen Blick auf ihren Händen, als sie die Dose schloß und versiegelte. Er hatte das Ende des Tischs erreicht, drehte um und kam auf der anderen Seite wieder herauf. In der Mitte der Reihe blieb er stehen. Ihr sank das Herz. Sie brauchte gar nicht aufzusehen, um zu wissen, wo er stand – hinter Amy Caldwell. Geh weiter, drängte sie ihn insgeheim. Laß sie in Ruhe.
    Amy war fünfzehn und linkisch. Sie hatte ungeschickte Hände, manchmal kippte sie ihre Waagschale um und verschüttete den Inhalt, oder sie klebte ein Schild schief auf. Alle Mädchen sprangen für sie ein, jede tat ein bißchen mehr, als sie hätte tun müssen, um Amys Langsamkeit auszugleichen. Es war üblich, sich untereinander zu helfen.
    Fiona wog weiter Tee ab und betete, daß Amy kein Mißgeschick passierte. Dann hörte sie es – das Geräusch einer heruntergefallenen Waagschale. Schnell hob sie den Blick. Amy hatte ihren Tee über den ganzen Tisch verschüttet. Und statt ihn aufzusammeln, stand sie mit bebendem Kinn hilflos da.
    »Feg ihn auf, Liebes«, flüsterte Fiona ihr zu. »So ist’s gut. Mach weiter …«
    Amy nickte, fegte den Tee zusammen, und Burton ging weiter, um jemand anderen zu terrorisieren. Fiona sah ihm nach, sie war außer sich vor Zorn. Amys Mißgeschick war allein seine Schuld. Es wäre nicht passiert, wenn er nicht so lange dagestanden und das arme Ding nervös gemacht hätte.
    William Burton war

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