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Die Teerose

Die Teerose

Titel: Die Teerose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Donnelly
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leere Ginflasche hoch.
    »Streichhölzer?«
    »Ja.«
    Leise verließen sie das Gebäude durch eine Seitentür und verschlossen sie mit einem Schlüssel, den ihnen Burton gegeben hatte. Draußen goß Reg Benzin in die Flasche, tränkte ein Tuch, stopfte es in den Flaschenhals und ließ ein Stück als Docht herausstehen. Dann hielt er ein Streichholz daran, und es flammte hell auf.
    »Los jetzt!« zischte Bowler.
    Reg warf die Flasche durch ein leeres Fenster. Im Rennen sah Bowler zurück, ob seine Männer ihm folgten. Stan war direkt hinter ihm, aber Reg stand immer noch da, um zu sehen, ob die Flammen hochloderten. Bowler hörte ein lautes, zischendes Geräusch, gefolgt von einer ohrenbetäubenden Explosion. Die Gasleitungen, dachte er, bevor ihn die Druckwelle zu Boden warf. Fenster in den nahe gelegenen Fabriken und Häusern zerbarsten. Glasscherben regneten auf ihn nieder. Als er sich aufrappelte, spürte er Stan neben sich. »Laß uns abhauen!« rief er.
    »Was ist mit Reggie?«
    »Vergiß ihn! Den hat’s erwischt!«
    Innerhalb weniger Sekunden stand das Gebäude in Flammen, und Rauch erfüllte die Straße. Plötzlich tauchte Reg aus den dichten grauen Rauchwolken auf. Sein Gesicht war schwarz verfärbt, und auf seinen Wangen waren Schnittwunden. »Ganz schön mies, sich so den Lebensunterhalt zu verdienen«, stieß er erschöpft hervor. »Wir sollten lieber bei den Schutzgeldern bleiben, Chef.«

   58   
    L eg die Flasche weg, Lizzie!« brüllte Roddy O’Meara. »Auf der Stelle! Du hast ihr schon einen Schnitt beigebracht, und das kostet dich drei Monate Bau. Verstanden! Ich hab gesagt, leg sie weg!«
    »Die dreckige Schlampe hat versucht, mir meinen Freier abspenstig zu machen!« schrie die Frau. »Ich demolier ihr die Visage. Dann kann sie’s noch mal probieren!«
    Lizzie Lyndon, eine Prostituierte, hatte eine andere Frau ihres Gewerbes namens Maggie Riggs vor dem Pub The Bells zu Boden geschlagen, saß jetzt rittlings auf ihr und bemühte sich, ihr eine zerbrochene Flasche ins Gesicht zu drücken. Maggie bemühte sich verzweifelt, Lizzies Handgelenk zurückzuhalten. Roddy war nur fünf Meter von den beiden entfernt und hätte Lizzie leicht überwältigen können, vorausgesetzt, er käme noch rechtzeitig. Wenn nicht, würde Maggie den Preis dafür bezahlen.
    »Komm schon, Liz, leg sie weg. Du kriegst eine Menge Schwierigkeiten, wenn du sie verletzt.«
    Lizzie sah zu ihm auf. Ihr Gesicht war wutverzerrt, aber in ihren Augen standen Tränen. »Ich hab ihn zuerst gesehen, Meister«, sagte sie. »Er war mein Freier! Ich bin aufs Klo gegangen, und wie ich zurückkam, war sie schon halb aus der Tür mit ihm!«
    Roddy ging ein paar Schritte auf sie zu. »Komm, gib mir die Flasche.«
    »Ich hab eine Woche nicht richtig geschlafen!« schrie sie. »Ich will einfach ein Bett für heut nacht.« Wieder richtete sich ihr Blick auf Maggie. »Und das hab ich gehabt, bis sie mir meinen Freier ausgespannt hat!«
    »Laß sie los. Schlecht schlafen ist besser als der Knast.«
    Lizzie lachte bitter. »Ganz und gar nicht, Meister. Im Knast gibt’s wenigstens einen Teller Wassersuppe. Und es ist warm.«
    Roddy kniete inzwischen neben Lizzie und griff nach der Flasche. »Na komm«, redete er ihr zu. »Jetzt reicht’s.« Sie gab ihm die Flasche. Er half zuerst ihr, dann Maggie auf, die ihre zerrissenen Kleider und schmutzigen Hände ansah. Auf Lizzies Wange waren tiefe Narben, die von einem früheren Kampf stammten. Maggies Gelenke, die unter den Manschetten ihrer abgewetzten roten Jacke hervorkamen, waren nur Haut und Knochen.
    Roddy wußte sehr wohl, daß er die beiden wegen Trunkenheit und ungebührlichem Benehmen eigentlich festnehmen müßte, aber das würde er nicht tun. Diese Frauen waren keine Kriminellen, sondern einfach nur verzweifelt. Verzweifelt, hungrig und kaputt. Er sagte ihnen, in welcher Mission sie einen Teller Suppe bekämen, ohne zu viele fromme Ermahnungen schlucken zu müssen, und warnte sie, daß er beim nächsten Mal nicht mehr so nachsichtig wäre. Dann befahl er den Schaulustigen weiterzugehen und setzte seinen Weg nach Osten in Richtung Christ Church fort.
    Als Sergeant mußte Roddy keinen Streifendienst mehr machen, aber er hatte sich so sehr daran gewöhnt, daß er nachts auf dem Heimweg zu seiner Familie in Bow einen etwa einstündigen Umweg machte. So blieb er in Kontakt mit den Leuten, die er beschützen sollte. Gleichzeitig signalisierte er damit seinen ganz speziellen Freunden, daß er

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