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Die Teerose

Die Teerose

Titel: Die Teerose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Donnelly
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tun.
    »Entschuldige«, sagte sie und quetschte sich an dem Mädchen vorbei, das in der Tür stand.
    Mr. Minton saß an seinem Scheibtisch und teilte Shillinge und Pence aus. »Was gibt’s?« fragte er unwirsch, ohne aufzusehen. Burton und sein Begleiter, die gerade in eine Akte vertieft waren, sahen auf.
    Fiona schluckte und zuckte unter ihrem Blick zusammen. Ihr Zorn hatte sie hergetrieben, aber jetzt packte sie die Angst. Ihr wurde klar, daß sie möglicherweise ihren Rausschmiß riskierte. »Entschuldigen Sie, Mr. Minton«, begann sie und bemühte sich, mit fester Stimme zu sprechen. »Aber diese Mädchen zu entlassen heißt am falschen Fleck sparen.«
    Jetzt hatte sie Mintons Aufmerksamkeit. Er sah sie eine Weile fassungslos an, bevor er Worte fand. »Das tut mir schrecklich leid, Mr. Burton, Sir …«, stammelte er und stand auf, um sie hinauszubefördern.
    »Einen Augenblick«, antwortete Burton und klappte den Aktendeckel zu. »Ich möchte gern wissen, warum eine von meinen Packerinnen glaubt, mein Geschäft besser zu verstehen als ich.«
    »Ich kenne meinen Teil der Arbeit, Sir. Ich verrichte sie jeden Tag«, sagte Fiona und zwang sich, in Burtons kalte schwarze Augen zu blicken, dann in die des anderen Mannes, die eine verblüffend schöne Schattierung ins Türkise zeigten und in vollkommenem Gegensatz zu seinem harten, habgierigen Gesicht standen. »Wenn Sie die Mädchen behalten und ein paar Änderungen im Arbeitsablauf vornehmen würden, könnte mehr Tee schneller verpackt werden. Ich weiß, daß das möglich wäre.«
    »Sprich weiter.«
    Sie holte tief Luft. »Also … jedes Mädchen stellt seine eigene Verpackung her, richtig? Wenn es sich um eine Kiste handelt, muß sie sie zusammenkleben, wenn es eine Dose ist, muß sie ein Schild draufkleben. Dann füllt sie den Behälter mit Tee, versiegelt ihn und stempelt den Preis auf. Das Problem ist, daß wir unseren Arbeitsplatz verlassen müssen, um Nachschub zu holen. Das dauert zu lange. Und manchmal kommt Tee in den Klebepinsel. Das ist Materialvergeudung. Also sollten Sie einige Mädchen nehmen – sagen wir zwanzig von den fünfundfünfzig –, die die Verpackung herstellen. Weitere fünfzehn sollten den Tee einfüllen, zehn sollten ihn versiegeln und stempeln, die letzten zehn könnten den notwendigen Nachschub zu den Tischen bringen. Jedes Mädchen würde mehr leisten können, verstehen Sie? Dadurch würde der Ausstoß vergrößert und die Kosten für das Verpacken gesenkt. Da bin ich mir sicher. Könnten wir’s nicht wenigstens versuchen, Sir?«
    Burton setzte sich schweigend nieder. Zuerst sah er sie an, dann starrte er in die Luft und dachte über ihren Vorschlag nach.
    Fiona deutete dies als hoffnungsvolles Zeichen. Er hatte nicht nein gesagt und hatte sie auch nicht entlassen. Zumindest noch nicht. Sie wußte, daß die Mädchen sie gehört hatten. Sie spürte ihre Blicke im Rücken, ihre verzweifelte Hoffnung. Ihr Vorschlag war sinnvoll, das wußte sie. O bitte, bitte, laß ihn das einsehen, betete sie.
    »Das ist eine gute Idee«, sagte er schließlich, und Fiona spürte, wie ihr Herz einen Freudensprung machte. »Mr. Minton«, fuhr er fort, »wenn Sie hier fertig sind, möchte ich, daß Sie sie mit den verbleibenden Mädchen umsetzen.«
    »Aber, Mr. Burton«, sagte sie mit versagender Stimme, »ich … ich dachte, sie könnten bleiben …«
    »Warum? Du hast mir gerade gezeigt, wie man mit vierzig Mädchen die Arbeit von hundert macht. Warum sollte ich fünfundfünfzig bezahlen?« Er lächelte seinen Begleiter an. »Höhere Produktivität bei niedrigeren Kosten. Das sollte die Bank doch freuen, Randolph.«
    Der dicke Mann schmunzelte. »Durchaus«, antwortete er und griff nach einer anderen Akte.
    Fiona fühlte sich, als hätte sie eine Ohrfeige bekommen. Sie drehte sich um und verließ gedemütigt Mintons Büro. Sie kam sich wie ein Idiot vor. Statt ihren Freundinnen den Job zu erhalten, hatte sie bestätigt, daß sie nicht gebraucht wurden. Sie war zu Burton gegangen und hatte ihm gezeigt, wie man mit weniger Arbeitskraft mehr Leistung herausschinden konnte. Und wenn er hier fertig war, würde er zu seinen anderen Fabriken in Bethnal Green und Limehouse gehen, ihre Vorschläge umsetzen und auch dort die Mädchen entlassen. Würde sie je lernen, ihr Temperament zu zügeln, ihren Mund zu halten?
    Als sie mit schamrotem Gesicht an den Mädchen vorbeiging, spürte sie, daß jemand ihre Hand ergriff. Dünne zerbrechliche Finger faßten sie

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