Die Teerose
jetzt hat sich Tommy als anständig erwiesen, dachte Joe. Die Bezahlung war gut und die Unterbringung erstklassig. Aber Peterson hatte ihm noch mehr gegeben als nur ein Zimmer und guten Lohn, nämlich etwas, was er noch höher schätzte: Er hörte ihm zu. Der Mann steckte bis über beide Ohren in Arbeit – er lenkte einen ganzen Stab von Arbeitern, Einkäufern, Verkäufern, Trägern und Fahrern und nahm sich dennoch die Zeit, sich die Vorschläge seiner Angestellten anzuhören, angefangen vom untersten Träger bis hin zum Chefeinkäufer. Als Joe vorschlug, daß die Erbsenschälerinnen mehr leisten könnten, wenn ein Junge sie mit Nachschub versorgte, statt ihn selbst zu holen, wurde ein Junge eingestellt. Der Ausstoß wurde vergrößert, und das Experiment trug ihm ein Lob und einen anerkennenden Klaps auf den Rücken ein. Als er feststellte, daß die Köche der großen Hotels und Restaurants – eine mäkelige und ungeduldige Truppe – dazu tendierten, von einem Verkäufer zum anderen zu gehen, um hier Äpfel, dort Brokkoli zu kaufen, schlug er vor, ihnen Tee anzubieten. Tommy willigte ein, und die Köche, die am Morgen für ein heißes Getränk dankbar waren, blieben stehen und kauften bei ihnen.
Sowohl mit dem Zimmer wie mit dem Verdienst war er sehr zufrieden, aber die Ermutigungen, die er von Tommy erhielt, machten ihn am glücklichsten. Sein Vater hatte sich nie für seine Ideen interessiert und jeden Vorschlag abgeschmettert. Jetzt wurden seine Ideen bestätigt, sogar gelobt.
In der ersten freien Minute, die er hatte, schrieb er an Fiona und schilderte sein neues Leben. »Heiße Bäder, wann immer ich will, ein Bett ganz für mich allein und ein warmes Zimmer mit Kübeln voller Kohle«, schrieb er. »All das haben wir und noch viel mehr.« Er beschrieb ihr seine Arbeit, den Mitbewohner, die Bauern aus Devon und Cornwall und die ungeheure Geschäftigkeit in Covent Garden. Er schrieb vier Seiten voll, um ihr all das zu erzählen, und eine fünfte, um ihr mitzuteilen, daß er in vierzehn Tagen ein ganzes Wochenende frei habe – Tommy gab nur einmal im Monat ein ganzes Wochenende frei – und sie in die Regent Street und Bond Street zum Schaufensteransehen führen wolle. Aber das sei nur der Anfang. Er könne auch mehr Geld beiseite legen, ganz wie er gesagt habe. Sie bekämen ihren Laden früher als gedacht, und wenn sie reich wären, würden sie sich ein hübsches Haus mit einem modernen Badezimmer kaufen. Er schloß den Brief mit der Hoffnung, daß sie ihn vermisse, denn er vermisse sie sehr.
Was stimmte. Sie fehlte ihm schrecklich. Er hatte Heimweh nach seinem Zuhause und seiner Familie, aber hauptsächlich nach ihr. Jeden Tag drängte es ihn, ihr von all dem Neuen zu erzählen. Er lernte so viele neue Leute kennen, machte so viele neue Erfahrungen. Er wünschte, er könnte sich abends mit ihr unterhalten, alles mit ihr teilen und hören, was sie dazu meinte. Er vermißte den Klang ihrer Stimme und ihre begeisterten Augen. Jede Nacht bevor er einschlief, dachte er an sie und stellte sich ihr hübsches Gesicht und ihr Lächeln vor. Doch vor allem dachte er an die Art, wie sie ihn unten beim Fluß angesehen hatte, unter dem Kai, als sie sich ihm hingeben wollte. Einerseits wußte er, daß er das Richtige getan hatte, andererseits hielt er sich für einen ausgemachten Narren. Welcher junge Mann wies schon ein schönes, halbnacktes Mädchen zurück? Eines war gewiß: Das nächste Mal, wenn sie allein waren und sie ihre Bluse auszog, würde er sie nicht mehr in ihrer Leidenschaft stoppen. Seit er in Covent Garden war, hatte er dank seines Mitbewohners ein paar Dinge gelernt, die nichts mit dem Geschäft zu tun hatten.
Joes Gedanken an Fiona wurden von dem Regen unterbrochen, der gegen das Badezimmerfenster trommelte. Es war ein scheußlicher Tag. Eigentlich hatte er mit Harry, der vor dem Ofen döste, spazierengehen wollen, aber bei diesem Mistwetter gingen sie nirgendwohin. Heute, am Sonntag, war ihr einziger freier Tag, und es wäre schön, die Beine auszustrecken und vielleicht irgendwo ein Bier zu trinken. Aber zu Hause zu bleiben und die Zeitung zu lesen wäre auch schön. Schließlich waren sie beide ziemlich erschöpft. Peterson war ein anspruchsvoller Chef und ließ sie erbarmungslos schuften – vor allem am Samstag, wenn er übriggebliebene Waren loswerden wollte. Joe war am Abend immer heiser, und die Knochen taten ihm weh. Weder er noch Harry waren vor Mittag aufgestanden, sie hatten weder die
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