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Die Teerose

Die Teerose

Titel: Die Teerose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Donnelly
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tut rein gar nichts!« schrie die Frau mit schriller Stimme. »Weil’s alles arme Frauen sind, stimmt’s? Keiner schert sich um uns. Aber wartet nur, bis er ins West End geht und die feinen Damen dort bedroht. Dann fangt ihr ihn!«
    »Ganz recht«, rief ein Mann, »euch Bullentrottel würde ein Tripper im Puff entwischen.«
    Weitere Spötteleien und lauteres Gejohle ertönten aus der Menge, die ständig lauter und bedrohlicher wurde. Inspektor Chandler bahnte sich einen Weg durch seine Leute, um die Quelle des Lärms auszumachen. Er warf einen Blick auf die Menge, dann wandte er sich an seine Beamten und erklärte, daß der Leichenwagen gleich eintreffen werde. »Sobald die Leiche abtransportiert ist, zerstreut sich der Pöbel«, sagte er.
    »Wie viele wird er noch umbringen?« kreischte eine Frau. »Wie viele?«
    Nach einem finsteren Blick auf die Menge, drehte sich Chandler um und ging wieder zu seinen Beamten zurück. Doch noch bevor er fort war, ertönte eine neue Stimme.
    »Ja, Inspektor, wie viele noch?«
    Roddy sah, wie sich Chandlers Gesicht zu einer Grimasse verzog.
    »Wie viele noch, Sir? Die Öffentlichkeit hat ein Recht, das zu erfahren!«
    Roddys Blick schoß zu dem Fragenden hinüber. Er kannte die Stimme, den energischen, frischen, fast fröhlichen Tonfall. Sie gehörte einem drahtigen Mann mit zerknittertem Gesicht namens Bobby Devlin, der schnell auf Chandler zuging.
    »Ich hab nichts für Sie«, brummte der Inspektor.
    »War ihre Kehle durchschnitten?«
    »Kein Kommentar.«
    »Der Körper aufgeschlitzt?«
    »Ich hab gesagt, kein Kommentar!« zischte Chandler und gab seinen Leuten dann Befehl strammzustehen, bevor er zu Phillips zurückkehrte.
    Ohne sich einschüchtern zu lassen, trat der Reporter vor den Polizeikordon. »Was meint ihr? Scheint, unser Junge hat sich wieder eine geschnappt, was? Und die Polizei war wie üblich nirgends zu sehen. Hab gehört, es ist gerade erst passiert. Sie könnte noch leben, wenn ihr ein bißchen schneller gewesen wärt. Wieder mal zu langsam geschaltet …«
    Devlins Sticheleien zeigten Wirkung. Ein junger Constable, der sich beleidigt fühlte, biß an. »Wir war’n nicht zu langsam! Sie ist gleich an der Schnittwunde am Hals verblutet. Sie …«
    Devlin hakte nach. »Welche Uhrzeit? Wer hat sie gefunden?«
    Ein schneller Stoß in die Rippen erinnerte den jungen Polizisten daran, den Mund zu halten, und er ließ den Reporter, der mit dem Notizblock in der Hand dastand, sein Glück anderswo versuchen.
    Roddy seufzte. Er war nervös und unruhig. Er wollte nicht hier rumstehen. Er wollte losgehen und Leute befragen. Er mußte sich bewegen, aktiv sein, das war die einzige Möglichkeit, die Erinnerung an den quälenden Anblick loszuwerden – ihren zerstückelten Leib, die gespreizten Beine, die kleine rote Blume, die an ihrer Jacke steckte. Ob er wohl schlafen könnte, wenn diese Nacht vorbei war? Er schloß die Augen und stellte fest, daß die Bilder hinter seinen geschlossenen Lidern anhielten und daß Devlins drängende, unnachgiebige Stimme in seinem Kopf nachhallte: »Wie viele wird er sich noch schnappen? Wie viele noch?«

   7   
    F ließendes heißes Wasser. Abflüsse, die nicht verstopft waren. Es war kaum zu glauben. Einfach herrlich! Joe tauchte sein Rasiermesser in ein Becken mit warmem Seifenwasser und staunte erneut über die Wunder moderner Annehmlichkeiten. Ein Waschbecken. Eine Badewanne. Ein Spülklosett. Alles im Haus! Er sah sich im Badezimmerspiegel an, blies die Backen auf und rasierte sich die blonden Stoppeln ab.
    Als Peterson ihm sagte, er würde in einem Zimmer über den Büros der Firma wohnen, hatte er ein dunkles, zugiges Loch erwartet mit einem kalten Abort im Hinterhof. Er hätte sich nicht mehr irren können. Das Zimmer – im obersten Stockwerk eines Backsteingebäudes – war als Lagerraum und dann als Schlafraum für die Bauern vom Land genutzt worden. Als sein Neffe aus Brighton heraufkam, um für ihn zu arbeiten, hatte Peterson es zu einem bequemen Junggesellenquartier umbauen lassen. Es war spärlich möbliert, aber hell und sauber. Die Wände waren in einem warmen Cremeton gestrichen. Es gab einen gußeisernen Ofen, um den Raum zu heizen und Essen oder Teewasser warm zu machen, einen alten geflochtenen Teppich und zwei alte Ledersessel, die vom Dachboden aus Petersons Haus stammten. Jeder der jungen Männer hatte ein Bett, einen eigenen Schrank und eine Obstkiste, die als Nachttisch diente, sowie eine Öllampe.
    Bis

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