Die Templerverschwoerung
getragener Mut war von der bedrängenden Nähe des Todes wie weggeblasen. Sie brauchten eine weitere Minute, um den Kopf zu finden, der mit aufgerissenen Augen und heraushängender Zunge dalag wie ein Opfergegenstand. Leichnam und Kopf waren schon in Verwesung übergegangen. Conor schätzte, dass sie seit mehreren Tagen hier lagen.
Er zog Mariyam ins Wohnzimmer zurück, doch der Anblick in der Bibliothek ließ sich nicht abschütteln. Es war wie bei Szenen aus einem Horrorfilm, die einen die ganze Nacht verfolgen und am Morgen immer noch da sind. Er setzte sich mit ihr für einen Moment auf die Couch. Keiner sagte ein Wort, aber sie gaben einander Halt. Nach einer Weile wehrte sie sich nicht mehr gegen ihre Gefühle und begann um ihren Freund zu weinen, einen liebenswerten, gutherzigen Mann, wie sie sagte. Er nahm ihr die Tränen nicht übel und glaubte sie ihr trotz der tapferen Worte über das Derg und all die Leichen, die sie als Kind gesehen hatte. Immerhin war Jean-Luc Belvaux ihr Lehrer gewesen und hatte ihr viel geholfen. Er konnte sie gut verstehen. Ihm selbst wäre es wohl ebenso ergangen.
»Kommen Sie, wir müssen hier raus«, sagte er.
»Wollen Sie nicht die Polizei rufen?«, fragte sie, schockiert, dass er den Ort eines grausigen Verbrechens einfach so verlassen wollte.
Er schüttelte den Kopf.
»Wie ich schon gesagt habe, wenn ein britischer Polizeibeamter am Tatort eines Mordes in Frankreich angetroffen wird, gibt es derartige Komplikationen, dass ich gar nicht daran denken möchte. Unsere eigenen Ermittlungen gerieten damit in große Gefahr. Wir gehen draußen zu einer Telefonzelle,und Sie teilen denen das Wichtigste mit. Sie sind an der Tür vorbeigekommen, die weit offenstand. Sie haben etwas Verdächtiges gerochen. Sie nennen die Adresse und überlassen den Behörden den Rest. Sie sagen Ihren Namen nicht und machen auch sonst keine Angaben. Bis die Polizei hier auftaucht, sind wir bereits unterwegs zum Flugplatz.«
Sie tat, wie ihr geheißen. Dann machten sie sich auf die Suche nach einem Taxi.
Während sie noch in der Nähe waren, hörten sie die Sirene eines Polizeiwagens. Mariyam blickte zur Basilika Sacré Coeur hinauf, die wie frisch gefallener Schnee über den Häusern aufragte. Das Polizeifahrzeug hielt vor Belvaux’ Haus. Ein Mann und eine Frau stiegen aus. Conor und Mariyam warteten ab, bis sie hineingegangen waren. Dann bogen beide in die nächste Seitenstraße ein.
Unter ihnen lag Paris im Nebel. Conor war nie zuvor in dieser Stadt gewesen. Nun würden Nebel und Tod seine einzige Erinnerung sein.
20. KAPITEL
Axum, Nordäthiopien
Für die Bundeslade, » die Gesetzeslade Gottes hat er geruht, dass sie auf Erden der Wohnsitz seiner Herrlichkeit werde … Sie ist von wunderbarer Farbe und Arbeit, … die Augen entzückend und berückend und den Sinn verwirrend … Geistig ist sie und voll von Barmherzigkeit; himmlisch ist sie und voll von Licht; frei ist sie und Wohnstätte der Gottheit, im Himmel wohnend und auf Erden wandelnd.«
Das Kebra Negest 5 , 13. Jahrhundert
In der Morgendämmerung standen zwei Amerikaner auf dem Berg Koho über der Ewigen Stadt Axum. Als die Sonne in den blassblauen Himmel stieg, ließen sie ihre Blicke über die antike Hauptstadt der Königin von Saba schweifen, einst das Zentrum eines Riesenreiches, dessen Könige und Edle mit Indien, Arabien, Persien und Rom Handel getrieben hatten und deren Macht sieben Jahrhunderte überdauerte. In den Bergen ganz in der Nähe hatten Kaiser die höchsten Stelen der Welt ausgraben lassen – Granitblöcke, so groß wie Hochhäuser. Im Herzen der Stadt stand die Kathedrale St. Maria von Zion und dicht daneben die Kapelle, die angeblich die Bundeslade beherbergte.
Sie waren nach Axum gekommen, um das Heiligtum zu finden. Das taten sie, um sicherzugehen, nicht, weil sie glaubten, dass es sich tatsächlich hier befand. Über die Jahre sollteihm nur ein einziger Mann nahe gekommen sein – der Atang oder Wächter der Lade. Sie aber wollten mit eigenen Augen sehen, was niemand sonst zu Gesicht bekommen hatte – die echte Bundeslade oder den Beweis, dass sie hier nicht war.
Während sie auf die Stadt herabschauten, stiegen hier und da Rauchsäulen von Küchenherden auf, wo die Frauen das Frühstück bereiteten. Kleine Jungen, die rasch ein paar Mundvoll Injera heruntergeschlungen hatten, trieben ihre Ziegen auf die Weide. Die Zicklein meckerten und liefen ihren Müttern nach. Auf den Straßen führten Männer
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