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Die Templerverschwoerung

Die Templerverschwoerung

Titel: Die Templerverschwoerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Easterman
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selbst nur eine geringe Bildung genossen, wusste aber, wie wichtig sie war, und wollte das Beste für seine Nachkommen, die sich alle Mühe gaben, ihn zufriedenzustellen. Er leitete die in unregelmäßigen Abständen stattfindenden Gottesdienste in der Rundkirche oder kleinere Zusammenkünfte in Privathäusern. Seinen Lebensunterhalt verdiente er sich als Kellner in einem Restaurant nahe des King’s College. Heute hielt er statt eines Tabletts ein prächtiges goldenes Prozessionskreuz in der rechten Hand. Von der feinen Filigranarbeit hingen zwei weiße Seidenbänder wie dieEnden eines langen tibetischen Schals herab. Endriyas’ Gesicht war auf der einen Seite schön, auf der anderen jedoch von Pockennarben entstellt. Sein Lächeln hatte eine verblüffende Wirkung – als ob die Sonne hinter einer Wolkenbank erstrahlte.
    Der Professor beugte sich nieder und küsste das Kreuz in der Hand des Jüngeren.
    »Es ist jetzt sechs Monate her, nicht wahr?«, sagte der Priester. »Seit Melesse von uns gegangen ist.«
    Kaleb wünschte, er hätte nicht davon angefangen.
    »Sie waren lange nicht bei mir«, sagte Endriyas. »Kommen Sie nach Weihnachten vorbei. Sie müssen darüber reden.«
    Kaleb fasste mit der Hand an seine Wange. Neuerdings hatte er seine Tränen nicht mehr unter Kontrolle. Freundliche Worte konnten bei ihm unerwünschte Emotionen auslösen. Ein zu schnelles Auto hatte ihm Melesse geraubt. Sie war im Krankenhaus gestorben, bevor er sie sehen oder noch mit ihr sprechen konnte. In der Kirche tönten die Trommeln wie der dumpfe Herzschlag eines Riesen, und die Diakone sangen eine Adventshymne. Der Gottesdienst ging seinem Ende zu.
    »Ja«, sagte Kaleb. »Aber nicht jetzt, Abba. Ich habe in fünf Minuten ein Seminar.«
    »Natürlich. Man hat mir gesagt, dass Sie hier sind. Und ich muss jetzt auch wieder hinein, um aufräumen zu helfen. Sie wissen, wo Sie mich finden. Besuchen Sie mich.«
    Kaleb blieb vor der Tür stehen, um seine Zigarette zu rauchen. Die machte ihm keine Furcht, obwohl er wusste, dass sie ihn umbringen konnte. Schließlich hatte er das Derg überlebt. Er nahm einen tiefen Zug. Erinnerungen tauchten auf und verschwanden wieder. Das Derg – das Komitee – war Äthiopiens Junta unter dem brutalen Diktator Mengistu gewesen. In Kalebs Studentenzeit hatte das Derg 1975 alle Schulen,Universitäten und Colleges des Landes geschlossen und die Schüler und Studenten zur Arbeit aufs Land geschickt. Nicht dass es dort viel zu tun gegeben hätte. Äthiopien litt bereits an der von einer Dürre ausgelösten Hungersnot, die in weniger als einem Jahrzehnt ihren Höhepunkt erreichen sollte. Das Leben auf dem Lande war sehr hart. Viele starben. In den Städten erhängten und erschossen die Soldaten des Derg jeden, dessen Gesicht ihnen nicht passte.
    Bald darauf begegnete er dem Mädchen Melesse, das seine Frau werden sollte. Ein Priester traute sie heimlich in ihrem Lager, dann flohen sie gemeinsam nach dem Sudan und schlugen sich langsam nach England durch, wo Kaleb während seines Studiums ein paar Jahre verbracht hatte. Sie ließen sich dort nieder und blieben, auch als Mengistu bereits gestürzt und aus Äthiopien nach Simbabwe geflohen war. Manche meinten, er habe über eine halbe Million Menschen auf dem Gewissen.
    Einzeln und in Gruppen verließen die Gemeindemitglieder nach und nach das Gotteshaus. Kaleb ging auf die andere Straßenseite und stellte sich in den Ladeneingang von Thomas Tranter, einem Tabakmischer und Zigarrenhändler. Er rauchte seine Zigarette zu Ende und steckte sich eine zweite an. Einige bemerkten ihn und winkten ihm einen Gruß zu, aber keiner kam herüber und sprach ihn an. Ein paar Schritte weiter auf der Bridge Street vor dem Geschäft von Toni & Guy’s, wohin Kaleb nicht sehen konnte, stand ein hochgewachsener weißhäutiger Mann in einem hellen Mantel und beobachtete die Kirche. Von Zeit zu Zeit lugte er auch zu dem Professor hinüber und schaute dann rasch wieder weg. Dabei trat er von einem Fuß auf den anderen. Er trug schwarze Handschuhe, und die Schneeflocken bedeckten ihn wie Federn von Engelsflügeln.
    Kaleb war jetzt viel allein und gab sich Erinnerungen an die Vergangenheit hin. Manchmal dachte er an seine tote Frau, dann wieder an seine Eltern, seine Brüder und Schwestern, die unter Mengistu ihr Leben gelassen hatten. Wenn er sich in sich selbst zurückzog, um Frieden zu finden, dann erwarteten ihn dort nur Dämonen – Zar -Geister, Hundeteufel und Nachthexen. Um

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