Die Terranauten 029 - Invasion der toten Seelen
Brocken rollte aus seiner Halterung und löste eine kleine Lawine aus, die den Eigner der Parlays Perle mit sich riß.
David wollte auf ihn zuspringen, um ihn festzuhalten, aber Farrell stieß ihn mit einer heftigen Bewegung zu Boden.
»Grüne Flieger!« zischte er. »Ruhig liegenbleiben!« Ramee schrie, als er sich überschlug und Steingrus seinen Rücken, seinen Kopf und seine Brust peitschte. Eine Wolke aus grauem Staub hüllte ihn ein.
David wandte den Blick ab. Er wollte nicht sehen, wie der neugewonnene Freund in den Tod stürzte. Vorsichtig drehte er den Kopf, um in den Himmel sehen zu können. Eine Horde Grüner Flieger kreiste über dem Abhang. Sie trugen kurze Lanzen und eigenartige, spitz zulaufende Kopfbedeckungen.
»Eine Patrouille«, flüsterte Farrell. »Sie suchen das gesamte Gelände ab.«
David drückte sich noch enger an den Felsboden. Endlose Minuten lang erfüllte das leise Rauschen der Flügel die Luft, entfernte sich und kehrte wieder zurück. Ein durchdringender Schrei wurde von der höchsten Erhebung der Bergkette beantwortet. Die Flieger sammelten sich zu einer pfeilförmigen Formation und stießen ins Tal hinab. Der Flügelschlag verklang.
David und Farrel verharrten noch eine Zeitlang in ihrer Position, bis sie sicher waren, daß die Grünen nicht wiederkamen.
»Die Abenddämmerung hat uns gerettet«, sagte David endlich, stand auf und holte einige Male tief Atem. Staub kratzte in seinem Hals, und er mußte husten.
Claude Farrell starrte an der Felswand empor.
»Wenn die oben einen ständigen Posten halten, sehen wir aber dumm aus!« knurrte er.
»Wir warten ab, bis es völlig dunkel ist«, sagte David und hustete wieder. »Es ist zwar ein Risiko, aber wir müssen eben versuchen, in der Nacht die Wand hochzusteigen. Mehr als runterfallen können wir schließlich nicht.«
Farrell lachte kurz und betont. »Deinen Humor habe ich schon immer bewundert«, murmelte er. »Dann haben wir ja Zeit, nach den Überresten Ramees zu suchen. Ich spüre, daß er noch lebt.«
Ramee war tatsächlich noch nicht ganz tot. Sie fanden ihn am Rand des Abhangs, wo er mit dem linken Fuß zwischen zwei festverkeilten Felsquadern hängengeblieben war. Sein Oberkörper hing über der Kante. Es dauerte geraume Zeit, bis er wieder so weit bei Besinnung war, daß er begriff, was eigentlich geschehen war.
David und Farrell trugen ihn zu der Steilwand und setzten ihn hin. Ramee gab keinen Ton von sich, obwohl sein ganzer Körper mit Abschürfungen, Platzwunden und Blutergüssen bedeckt war. Von seinem dünnen Hemd und der Hose war nicht mehr viel übrig.
»Wenn ihr mich eine Stunde ausruhen laßt, bin ich wieder wie neu«, sagte er schwach und fiel sofort wieder in Ohnmacht.
»Wer’s glaubt«, meinte Farrell zweifelnd. »Wenn er nun nicht weiterkann? Wir können ihn schließlich nicht hier sitzenlassen.«
»Dann müssen wir eben doch auf die Verstärkung warten. Aber ich halte ihn für zäh genug, um mit uns Schritt zu halten. Er erinnert mich an Brak Shakram. Als wir aus Ultima Thule fliehen mußten, kamen wir durch eine Gegend, die so ähnlich war wie diese hier. Wir wurden von Grauen angegriffen. Shakrams Arm wurde zerschmettert, er wurde an der Brust verwundet, aber er lief hinter mir her, als sei gar nichts passiert, und riß dazu noch dumme Witze.«
»Was ist aus ihm geworden?« fragte Farrell.
»Den Arm mußten wir ihm amputieren. Später haben wir uns aus den Augen verloren. Was aus ihm geworden ist, weiß ich nicht. Aber diese ganze Szenerie erinnert mich wirklich stark an damals. Ich hatte schon während des Aufstiegs die ganze Zeit das Gefühl, als ob ich hier schon einmal gewesen wäre.«
»Seltsam.« Farrell sah sich prüfend um. »Mir geht es genauso. Aber mich erinnert die Gegend an den Himalaja, wo ich vor vielen Jahren herumgeklettert bin. Der Wind hat den gleichen Geruch, und auch die Bergspitzen vor dem dunklen Himmel kommen mir so vertraut vor. Außer, daß es hier keine Sterne gibt.«
Claude Farrell gab sich seinen Erinnerungen hin, und David versank in Schweigen. All seine Befürchtungen, die er selber schon als unsinnig abgetan hatte, waren durch Farrells Worte wieder zum Leben erweckt worden. Waren es wirklich nur sentimentale Erinnerungen, die ihnen beiden vorspiegelten, dieser Berg auf Rorqual habe Ähnlichkeit mit Orten auf Terra, die in ihrem Leben eine gewisse Rolle gespielt hatten? Oder war es etwas anderes? Formten ihre Wünsche und Erinnerungen erst diese Ähnlichkeit?
Weitere Kostenlose Bücher