Die Terranauten 030 - Blick in die Vergangenheit
wieder auf sich selbst besinnt, werden wir Terranauten von Spionen verfolgt, die uns unbarmherzig dem Konzil der Konzerne überliefern werden, sobald sie Beweise für unsere Tätigkeit finden. Vor kurzer Zeit hat man erst versucht, Myriam zu entführen und sie durch Folter zu zwingen, die Ergebnisse der Forschungen an Yggdrasil zu verraten. Daher unsere übergroße Vorsicht.«
Merlin lächelte ihm zu. »Ich verstehe schon«, beruhigte er, »und ich verurteile es nicht. Zu meiner Zeit war es nicht anders. Aber ich bin hier, um euch beizustehen. Ihr solltet meine Hilfe nicht ablehnen.«
»Woher sollen wir wissen, daß du uns wirklich helfen willst?« erwiderte Mar-Estos hart. »Vielleicht bist du nur einer der Spione, die uns auflauern.«
»Ihr verlangt also einen Beweis?«
Mar-Estos nickte.
»Noch ist die Kraft Yggdrasils in mir. Ich will sie bitten, mir die zu schicken, die in dieser Welt meine Tochter sein soll.«
Merlin erhob sich und wandte sich dem Gang zu, der in das Tal hinausführte. Er machte keine Bewegung. Mit geschlossenen Augen sandte er seinen Willen aus. Mar-Estos spürte, wie sich gegen seinen Willen sein Bewußtsein öffnete. Aufstöhnend legte er die Hände gegen die Stirn, wie um sich vor den Bildern zu schützen, die in ihn hineinflossen. Unendlich kalt und dunkel wurde es um ihn herum. Er fürchtete, in dieser absoluten Leere zu ertrinken. Gab es keinen Halt, nirgendwo? Doch, ein kleines Licht, das langsam näher rückte. Die Umrisse eines Baumes in flackerndem grünem Licht. Yggdrasil. Ja, es war Yggdrasil. Doch in ihrem transparenten Stamm bewegte sich etwas. Ein Mensch. Ein Kind, das aus tiefem Schlaf erwachte. Mit ausgestreckten Armen lief es aus den flammenden Umrissen Yggdrasils heraus auf eine schimmernde Brücke. Ihr weißes Kleid schwebte wie eine Wolke um ihre Beine.
»Merlin!« rief sie. »Merlin!«
Mar-Estos riß die Augen auf. Er konnte es nicht glauben, und er wollte es nicht glauben, aber die starren Augen seiner Freunde sagten ihm, daß sie dasselbe gesehen hatten wie er und jetzt noch sahen: das kleine Mädchen mit blauen Augen und langem, blondem Haar, das in der Halle stand und sich schutzsuchend an Merlin drückte.
»Meine Tochter Lithe«, sagte Merlin und legte seinen Arm um die Schultern des Kindes. »Braucht ihr noch mehr Beweise?«
Mar-Estos stand auf. Noch nie war ihm etwas so schwergefallen, wie jetzt Merlin die Hand entgegenzustrecken.
»Wir haben uns getäuscht«, sagte er heiser. »Wenn Ihr es noch wünscht, seid Ihr in unseren Kreis aufgenommen.« Er zuckte zurück, als Merlin seine Hand ergriff. Die Berührung von warmer Haut und festem Fleisch paßte nicht zu den Augen, die eine Welt gesehen hatten, die seit einer Ewigkeit vergangen war. Mar-Estos hätte es vorgezogen, wenn Merlin ein sprechender Schatten gewesen wäre, den man hören und sehen, aber nicht anfassen konnte.
»Es freut mich, daß ich Euch überzeugen konnte«, versicherte Merlin freundlich. »In Euch allen finde ich die Gewißheit, daß die Menschheit noch nicht völlig verloren ist. Gemeinsam wollen wir dafür kämpfen, daß die Erforschung des Weltraums, die Yggdrasils Geschenk erst möglich machte, friedlich verläuft, daß der Mensch lernt, Toleranz zu üben, und daß über allen Entdeckungen Yggdrasil nicht vergessen wird. Sie darf keine belächelte Sage bleiben, auch kein bloßes Sprichwort im Mund der Treiber, die sich ihres Geschenkes bedienen. Yggdrasil muß leben. Sie muß zu einem Bestandteil der Menschheit werden.« Er wandte sich zu Myriam, die nachdenklich auf ihre verschlungenen Hände blickte.
»Du, Kind«, sagte er zu Myriam, »wirst den schwersten Teil zu tragen haben. Aber was ist der Tod gegen die Erkenntnis des ewigen Lebens?«
Myriam sah ihn an. »Mit Eurer Hilfe werden wir gewinnen«, erwiderte sie zuversichtlich, aber Merlin schüttelte den Kopf.
»Erwartet nicht zuviel von mir«, sagte er. »Yggdrasil ist erschöpft. Für lange Zeit wird sie schweigen. Ich allein bin aber nur Merlin, Merlin, der Zauberer. Merlin, der Wächter. Aber meine Kraft in dieser Welt ist begrenzt. Dennoch werde ich euch zur Seite stehen, so gut ich kann. Die Terranauten müssen ihren Weg gehen.«
*
»Eine Audienz?« fragte Growan gelangweilt. »Wer möchte mich denn sprechen? Du weißt doch, daß ich nicht gestört werden will, wenn ich meinen Garten besuche.«
Clint Gayheen, der neben Growan stand, machte eine ungeduldige Bewegung. Der kleine Moschushirsch sprang erschrocken
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