Die Terranauten 056 - Die Drachenhexen
den wir von ihr auffingen, besagte, daß sie an Bord eines Treiberschiffes gegangen sei. Möchtest du noch einen Tee?«
Pethar nickte. Die vor Nayala stehende Kanne bewegte sich wie von Geisterhand durch die Luft und näherte sich seiner Tasse. Nayalas Handlungsweise war reine Höflichkeit, denn obwohl die Geisteskräfte des Patrouillenreiters nicht mit den ihren vergleichbar waren, hätte er dieses Kunststück problemlos selbst ausführen können.
»Ob sie noch lebt?« fragte Pethar nachdenklich.
Die Myrmica, die ihrer Unterhaltung wortlos zugehört hatte, lächelte sanft. Obwohl sie die Seniorin der Familie war, sah man ihr das Alter nicht an. Sie war eine vollbusige Frau mit schwarzem Haar und schien die ewige Jugend gepachtet zu haben. Lediglich ihre großen dunkelgrünen Augen deuteten an, daß sie viel älter war, als sie schien. Die Myrmica war Nayalas Ur-Ur-Ur-Urgroßmutter und weit über einhundertfünfzig Jahre alt, aber abgesehen von der Familie wußten dies nur wenige Fremde.
»Wir haben nie wieder von La Strega gehört«, sagte sie plötzlich mit ihrer zarten Stimme. »Da sie eine Frau von ungewöhnlich großer geistiger Begabung war, erscheint es mir als sehr unwahrscheinlich, daß sie noch lebt, denn sie hätte sich uns auch über Distanzen von mehreren tausend Lichtjahren mitteilen können. Wir wissen, daß sie nach Wega Little gehen und dort eine Tarnexistenz annehmen wollte. Vielleicht ist es ihr gelungen …«
»Es gab noch eine andere Frau, die das Drachenland verließ, Myrmica, nicht wahr?« fragte Nayala. »Sie ist zur Erde gegangen und hat dort eine bemerkenswerte Karriere gemacht.«
»Ihr Name war Myriam del Drago«, sagte die Myrmica und fütterte den kleinen Drachen, der sich neugierig auf die Hinterbeine gestellt hatte und über die Tischplatte lugte, mit einem Stück Brot, »Sie heiratete einen der mächtigsten Männer des Sternenreiches …«
Pethar wischte sich den Mund ab und stand auf. »Ich möchte nicht unhöflich erscheinen«, sagte er, »aber wenn ich noch rechtzeitig zur Versammlung kommen will, muß ich jetzt aufbrechen. Mein Weg ist noch lang.«
»Unser Weg«, sagte Nayala, »denn ich werde natürlich mit dir gehen.«
Pethar sah überrascht und erfreut auf. Die Myrmica hob den Kopf und nickte Nayala zu. Geh nur, Kind, sagten ihre Sinne in Nayalas Kopf. Du bist in letzter Zeit ein bißchen blaß geworden von all der Papierarbeit.
Der kleine Drache – er maß stehend etwa fünfzig Zentimeter und gehörte der seltenen Spezies der Schwarzen an – rieb seine spitze Schnauze an Nayalas Bein und sagte zustimmend »Kraak!« Seine feingeschuppte Haut war weich und der Kopf, der auf seinen schmalen Schultern lastete, im Verhältnis zu seinem Körper noch viel zu groß. Der Laut, den er von sich gegeben hatte, schien die Kinder hellauf zu begeistern, denn sofort bestürmten sie die Myrmica mit der Frage nach seiner Bedeutung.
»Es war einfaches Babygeschwätz«, erklärte die Myrmica freundlich. »Denn wie kleine Kinder müssen auch neugeborene Drachen erst einmal lernen, sich zu artikulieren. In einem halben Jahr werdet ihr ihn verstehen können. Sicher hat er nur ausdrücken wollen, daß er Nayala gern hat.«
Die Myrmica schien die Psyche des kleinen Schwarzen ausgezeichnet zu kennen, denn kaum hatten Nayala und Pethar Anstalten gemacht, den Gemeinschaftsraum zu verlassen, als das junge Reptil auch schon hinter ihnen hereilte. An der Tür versuchte es sich auf die Hinterbeine zu stellen und Nayalas Hand zu lecken, aber er verlor die Balance und landete auf dem Bauch. Sofort waren die Kinder zur Stelle und halfen ihrem vierbeinigen Spielkameraden wieder auf die Beine. Obwohl der kleine Schwarze ein äußerst mißmutiges »Kraak!« ausstieß, schien sein Mut ungebrochen zu sein.
Hand in Hand gingen Nayala und Pethar die Wendeltreppe hinauf. Die Wohneinheiten endeten im siebenten Stock des Turms, darüber waren nur noch Werkstätten, Vorratsräume und das sogenannte Drachennest untergebracht; letzteres war eine etagenweite Räumlichkeit, in der die vierbeinigen Gefährten der Menschen lebten, wenn die Witterung ein Übernachten in der freien Natur unmöglich machte.
Es gab nur eine Möglichkeit, den Turm zu betreten oder zu verlassen:
Das flache Dach, das von einer eineinhalb Meter hohen Zinnenmauer umgeben war, diente den Bewohnern als Start- und Landebahn. Indem man die Türme nur auf dem Luftweg betrat, sicherte man sich vor den meisten Arten der zwei- und vierbeinigen
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