Die Terranauten 057 - Fahrt zum Ende der Welt
umsäumten.
Das Relikt existierte seit Urzeiten, wußte Djihan. Die Große Brutmutter wohnte in ihr, so nahe und doch so fern. Denn Djihan hatte sie noch nie gesehen, und es gab auch eine Menge Erwachsene, die sie ebenfalls noch nie zu Gesicht bekommen hatten.
Die Träger luden die Kokons ab. Stille kehrte ein. Der Ernteführer wartete, dann ertönten aus der nächsten Hütte kratzende Geräusche, und ein Greis trat ins Freie. Djihan erschauerte unwillkürlich. Galmarahan war einst ein Drohnm gewesen, jemand, der den Stamm erweitert hatte. Er schien so alt wie die Welt selbst zu sein. Und er war der weiseste Mann, den Djihan kannte.
Der Weise schlurfte an die Kokons heran und legte seine Hände auf die silberweißen Webungen. Dann legte er den Kopf in den Nacken. »Wir danken dir, Brutmutter, für dieses Geschenk. Wir danken dir, daß du deine Kinder, die Kinder der Einmütter von Moth, nicht vergessen hast.«
Die Kokons knirschten. Schicht um Schicht begann, sich, wie von Geisterhand bewegt, abzuschälen.
Stille herrschte. Erste Konturen der im Innern der Webungen Gefangenen wurden sichtbar. Fast sah es so aus, als …
»Fremde!«
Dieses eine Wort war wie ein Aufschrei, der durch das ganze Dorf ging. Kinder wichen unwillkürlich zurück, klammerten sich ängstlich an ihre Lehrer. Erwachsene tasteten nach ihren Waffen.
Fremde – das war fast wie ein Fluch. Erst vor zwei Wochen hatten sie einen Überfall abwehren müssen. Eine Horde, die aus dem Nordosten gekommen war, spärlich bekleidet, mit finsteren Gesichtern. Und es hatte den Anschein gehabt, als sei die Horde vor einem noch gefährlicheren Gegner geflohen, der dort oben in der Wildnis hauste.
Die Welt veränderte sich …
Die Kokons lösten sich weiter auf. Dann platzte die erste Webung. Ein blauschuppiges Geschöpf rollte aus dem Innern heraus. Die Kinder schrien entsetzt auf. Und selbst Djihan, der sich immer für mutig gehalten hatte, gab einen leisen Laut des Erschreckens von sich.
Ein mit Reißzähnen bewehrtes Maul öffnete sich, eine Zunge züngelte. »Kraak!« machte das Geschöpf und versuchte, noch immer halb betäubt, auf die Beine zu kommen. Nervös breitete es seine Schwingen aus und flatterte wie ein junger Vogel, der das Fliegen erst noch lernen mußte.
»Tötet dieses … Ding! Es ist ein böser Dämon, der uns von der langen Nacht geschickt worden ist. Tötet ihn! Tötet ihn!«
Andere stimmten in den Ruf mit ein. Erwachsene packten ihre Speere und rückten vor. »Kraak!« machte der Dämon wieder und flatterte noch unruhiger. Der erste Speer flog durch die Luft. Er war gut gezielt und traf das schuppige Ding direkt unter dem Kopf. Das Geschöpf stieß ein langes Krächzen aus und taumelte auf seinen kurzen Beinen davon. »Der Dämon will fliehen!« rief jemand. »Schnell, ihm nach.«
Djihan konnte sich nicht rühren. Einige Krieger stürzten an ihm vorbei, um dem Dämon den Garaus zu machen. Aber die Schlafpollen verloren allmählich ihre Wirkung. Der Dämon bewegte sich nicht mehr so unsicher.
Und dann erhob er sich in die Lüfte. Speere, die ihm nachgeschleudert wurden, verfehlten ihn. Bald nahmen ihn die Wolken auf.
Der zweite Kokon platzte.
»Oooohhh!« machte die Menge.
Djihan riß die Augen, auf. Im Innern der Webung befand sich eine wunderschöne Mutter. Ihre Augen waren geschlossen. Sie schlief.
»Das ist das Zeichen, auf das wir so lange warteten!« rief der weise Galmarahan und hob die Arme. »Eine neue Brutmutter, um unserem Stamm neues Leben zu geben. Hütet sie! Pflegt sie! Bereitet sie vor!«
Drei Pflegerinnen kamen aus dem Relikt. Sie waren wunderschön, aber nicht so schön wie die neue Brutmutter. Und sie konnten kein neues Leben erschaffen. Vorsichtig hoben sie die Schlafende und trugen sie dann ins Allerheiligste.
Djihan hatte Tränen in den Augen. Tränen der Freude.
*
Nayala erwachte und schlug die Augen auf.
Dies, sagte die Stimme in ihr, ist die Wirklichkeit. Die Träume hingegen sind nur Schatten einer anderen Realität.
Ein Gesicht tauchte über ihr auf. Schmal, blaß, weich, von großen, dunklen Augen beherrscht, in denen ein warmer Ausdruck lag.
»Willkommen, Brutmutter«, sagte die Pflegerin sanft.
Nayala versuchte, in die Höhe zu kommen, doch sie mußte rasch feststellen, daß sie noch zu schwach war.
Das Gesicht verschwand, wurde kurz darauf durch ein anderes ersetzt. Eine weitere Pflegerin.
»Willkommen, Brutmutter«, wiederholte sie und hob einen Becher, der mit einer
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