Die Terranauten 076 - Krieg der Kasten
die Umsetzung ihres Plans so günstig wie nie zuvor. Die Auflösung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit hatte inzwischen ein Stadium erreicht, in dem es auch zu einer Zersetzung bisher stabiler Machtstrukturen kam. Die Garde ausgenommen …
»Die Rückschläge«, sagte Queen Cynthiana, »sind schwerwiegend, doch nicht von essentieller Bedeutung. Möglicherweise gibt es einen anderen Weg nach Shondyke. Möglicherweise gibt es jemand anderen als David terGorden, um Ihre Interessen im Konzil durchzusetzen.«
David … Der Gedanke schmerzte. Indem sie sich wegen dieses Gerna in die Ereignisse in Ultima Thule eingeschaltet hatte, hatte sie einen schweren Fehler begangen. Das langsam wachsende Vertrauen Davids war erschüttert und unterhöhlt worden.
Der Kommunikator summte. Chan schaltete ihn ein. Ihre Züge glätteten sich. »Ja?«
Blonde Haare, ein scharfgeschnittenes Gesicht. Große Augen, in denen es seltsam glänzte. Dahinter … Ein weitausladendes, versteinertes Ästegeflecht.
»Ich habe eine wichtige Nachricht für Sie«, sagte David terGorden.
»Ich höre«, gab Chan de Nouille kühl zurück.
»Nein, nicht über die externe Kommunikation. Ich bin in zwei Stunden bei Ihnen. Es wäre ratsam, wenn auch Lordoberst Tyll bei der Unterredung zugegen wäre.«
*
Grönland, Heiliges Tal Ödrödir, 21. September 2503, 11.02h Standardzeit
Leise flüsterte der Wind. Die dunklen Wasser des Gletschersees waren beinahe unbewegt. Die sich nur hier und da kräuselnden Wellen waren wie Falten im Gesicht eines Riesen. Inmitten des Gletschersees – eine Insel. Darin ein weiterer See, und darin eine andere Insel.
Das Land Irminsul.
Und Yggdrasil.
David sah an dem gewaltigen Stamm empor, betrachtete die weit ausladende Krone. Zwischen den Ästen und Zweigen summte der Wind, mal leiser, mal mit erhobener Stimme.
Narda legte ihm die Hand auf die Schulter. »Du wirst es herausfinden«, sagte sie leise, und ihre großen braunen Augen waren Quellen warmen Trostes. »Du wirst erfahren, wer du bist und was deine Bestimmung ist.«
Langsam, ohne den Blick von Yggdrasil abzuwenden, schüttelte David den Kopf. »Du verstehst nicht, Narda. Ich bin gegen den Willen der anderen Terranauten, gegen den Willen meiner besten Freunde, zur Erde geflogen. Ich habe mein Erbe angetreten. Ich bin einsam. Außer euch habe ich niemanden mehr. Und alles war vergebens. Das Buch Myriam existiert nicht mehr. Durch das Eingreifen dieses Idioten Gerna ging alles verloren.«
Er hob den Kopf. Der Wind griff mit unsichtbaren Fingern nach seinen Haaren. Es war wie ein sanftes Streicheln. »Begreifst du? Es war alles umsonst. Ich habe meine Freunde verloren. Für nichts.« Es klang bitter. Es sollte bitter klingen. »Aber du weißt … Es geht nicht nur um mich. Es geht auch um die Waffe der Uralten und die weiterhin wachsenden Kaiserkraftkonglomerate. Ich weiß nicht, welche Bedeutung mir in diesem Zusammenhang zukommt, aber die Worte des Weltenbaums im Herzen Rorquals waren eindeutig.«
Narda schwieg. Es war schwer, etwas darauf zu erwidern. Kurz blickte sie sich um. Drüben standen Nayala, Asen-Ger und Mandorla, Schatten gegen das Blau des Gletschersees.
»Kannst du mich hören, Yggdrasil?« David trat vor, legte seine Hände auf den Stamm. Er war kalt und hart – versteinert. Erneut sah David die Bilder, die er in den unterirdischen Gewölben Ultima Thules gesehen hatte. Die Kangrahs, die Hüter, eine Yggdrasil, die jung und verletzlich gewesen war.
»Yggdrasil ist tot, David, oder jedenfalls versteinert. Wer kann sagen, wann ein Baum tot ist?« meinte Narda sanft.
»Myriam? Growan?« Nichts. Nur Stille und das Säuseln des Windes. David wandte sich vom Stamm ab, ließ seine Hände geistesabwesend über Äste und Zweige streichen. Sie waren ebenso hart wie der Stamm, aber nicht einmal annähernd so kalt.
David riß die Augen auf.
Dann, vorsichtiger noch als beim ersten Mal, hob er erneut die Arme und berührte Äste, Zweige und Blätter.
»David, es hat doch keinen Zweck. Yggdrasil ist …«
»Gib mir deine Hand, Narda. Und konzentriere dich auf mich. Ich glaube fast …«
Sie berührte ihn, schloß die Augen, gab ihm einen Teil ihrer eigenen Kraft. Sie sah einen Schatten seiner inneren Anspannung, seiner Verletzlichkeit.
Aber da war noch etwas anderes. Ein fernes Flüstern, wie vom Wind, der durch das Heilige Tal strich.
»Habe ich mich geirrt, Narda?« hauchte David. »Sag es mir. Ist es nur Einbildung?« Sie sah verwirrt
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