Die Terranauten 082 - Das Mistel-Syndikat
mittlerweile so nahe gekommen, daß ihre äußere Form schon zu erkennen war. Und sie verkürzten den Abstand immer weiter.
»Bleib hier, Jelina«, sagte ich zu meiner Clanschwester. »Ich höre mal unten nach, wie die Dinge stehen.«
Dann aber erkannte ich, daß ich mir den Weg hinunter zur Zentralebene sparen konnte. Siri Lankard und Ain Lavalle kamen die Treppe wieder hoch, gefolgt von Laacon Merlander und Artuur Morgh.
Daß sich der Kapitän in der Treiberkuppel blicken ließ, war ungewöhnlich. Ich hatte mir sagen lassen, daß die Kuppel für nicht PSI-begabte Besatzungsmitglieder normalerweise tabu war. Normalerweise. Jetzt aber, wo uns allen Gefangennahme und noch Schlimmeres drohte, galt die gewohnte Schiffsordnung nicht.
»Hört mich an, Treiber«, fing Artuur Morgh an. »Wir haben keine Zeit zu verlieren. Deshalb komme ich gleich zur Sache. Um es kurz zu sagen: Eure Dienste werden nochmals gebraucht – jetzt sofort!«
»Unmöglich«, reklamierte Oona Karf augenblicklich. »Ich bin völlig am Ende und kann nicht …«
»Unterbrechen Sie mich nicht, Karf«, sagte der Kapitän scharf. Sein fettes Doppelkinn wackelte dabei heftig. »Sie scheinen sich über den Ernst der Lage nicht im klaren zu sein. Ich habe den Männern von der Raumüberwachung gesagt, daß wir aufgeben. Jeng-Jeng ist inzwischen dabei, Bremsmanöver einzuleiten. Wenn wir also nichts unternehmen, werden die Gallianer in Kürze an Bord der STORTIS sein. Was uns dann erwartet, dürfte jedem klar sein, oder?«
»Man hat uns versprochen, daß wir das System wieder als freie Leute verlassen dürfen«, warf Siri Lankard ein.
Der Kapitän lachte böse. »Das glauben Sie, Lankard? Ich will Ihnen sagen, was tatsächlich passieren wird. Die Männer von Parisienne nehmen uns unsere Misteln ab …«
»Ihre Misteln, Morgh«, redete Oona Karf dazwischen. »Es sind Ihre Misteln! Wir sind nur Treiber, die das Schiff durch Weltraum II zu steuern haben. Ihre Geschäfte sind nicht unsere Sache!«
»Kleiner Irrtum, Karf. Sie sind am Provisionserlös beteiligt, also hängen Sie auch mit drin. Das werden die Gallianer sehr schnell feststellen. Aber zurück zum Thema. Also, die Raumüberwachung kassiert unsere Misteln, und dann werden wir still und unauffällig liquidiert.«
»Warum … sollte man uns liquidieren?« fragte Zeus mit ängstlichem Gesichtsausdruck.
»Seien Sie nicht so naiv, Zeus«, sagte Morgh. »Parisienne ist Mitglied des Bundes der Freien Welten. Korrekterweise müßte die Regierung die beschlagnahmten Misteln der Ratsversammlung des Bundes auf Aqua übergeben. Aber glauben Sie denn wirklich, daß das geschieht? Mit fünf Misteln ist Parisienne vorläufig unabhängig von der kärglichen Quotenzuteilung der Versammlung. Deshalb wird man die Beschlagnahme natürlich keineswegs melden, sondern die Misteln einfach behalten. Ganz klar, daß man uns in diesem Fall als lästige Mitwisser beseitigen muß.«
Selbst Zeus, der beim Denken nicht der Schnellste war, sah das ein. Auch von den anderen kam kein Widerspruch.
Oona verzog ihr hübsches Gesicht zu einer Grimasse. »Was haben Sie also vor, um uns die Liquidierung zu ersparen? An Flucht ist ja wohl nicht mehr zu denken.«
»Doch«, sagte Artuur Morgh. »Flucht ist unsere einzige Chance.«
Hohnlachend deutete Oona Karf auf den Monitor. »Und wie, wenn ich fragen darf?«
»Ganz einfach«, antwortete der Kapitän. »Durch Weltraum II!«
Sekundenlang herrschte tiefes Schweigen in der Treiberkuppel. Alle ließen die Worte Artuur Morghs erst einmal auf sich einwirken. Auch Jelina und ich bildeten da keine Ausnahme.
Unsere Kenntnisse von der Treiberraumfahrt waren gering. Soviel aber wußten wir: Es war nicht ungefährlich, innerhalb eines Planetensystems und ohne Vorbereitung in den anderen Raum einzudringen. Es gab Wechselwirkungen zwischen Weltraum II und der Masse des Systems, dessen Gravitationskräfte auch auf das andere Kontinuum einwirkten. Zudem brauchten alle Logenmitglieder schon vor der neuen Belastung durch den PSI-Schirm eine längere Ruhepause. Eine Überlastung der PSI-Kräfte konnte zum »Ausbrennen« des Treibers führen, wie man diese Selbstzerstörung des PSI-Zentrums durch Überreizung nannte. Und in unserem speziellen Fall gab es noch einen Grund, eine Transition nach Weltraum II zu scheuen: meine Vision vom Untergang der STORTIS!
Oona Karf war die erste, die die Sprache wiederfand.
»Sie müssen verrückt geworden sein, Morgh«, stieß sie hervor. »Ich verspüre
Weitere Kostenlose Bücher