Die Terranauten TB 04 - Zeitfenster
Flimmern vor Grals Augen ließ nach. Er blinzelte erneut.
Jemand näherte sich ihm, und Gral war plötzlich froh, daß hinter ihm Terjung den Panzerwagen verließ und sich mit der ganzen Mächtigkeit seiner breitschultrigen, hochgewachsenen Gestalt neben ihm aufbaute.
Ein Soldat in olivgrüner Uniform. Ein Dutzend Orden blitzten und funkelten an seiner Brust, und Gral brauchte dem Mann nicht in das weißbärtige Antlitz zu schauen, um zu wissen, daß General Jodekain vor ihm stand.
Jodekain tippte lässig an seine Uniformmütze. Seine untere Gesichtshälfte wurde von dem sorgfältig gepflegten grauweißen Bart verhüllt. Die andere Hälfte war gerötet. Die Nase war knollig, und die Pupillen waren kleine Bernsteintupfer im Weiß der Augäpfel.
Der Blick des Generals gefiel Gral ganz und gar nicht.
Es war kein menschlicher Blick. Selbst Terjungs Glasaugen drückten mehr Gefühl und mehr Wärme aus.
In Jodekains Blick spiegelte sich das Bild einer anderen Welt. Einer Welt, vor der Gral automatisch zurückschreckte, denn sie hatte nichts mit dem zu tun, was er kannte, liebte oder verabscheute.
Diese Welt war fremd.
Sie war alleiniges Produkt von Jodekains kranker, verdrehter Seele, und es gab nichts auf dieser Erde, das imstande war, sie von der objektiven Realität zu überzeugen.
Unwillkürlich fragte sich Gral, welche Stellung er wohl in Jodekains abstruser innerer Wirklichkeit einnahm.
»Willkommen in good old Germany, Zamuel«, polterte der General mit einer wider Erwarten sympathischen Baßstimme. »Wie war der Flug, Zamuel? Langweilig oder haben Sie ihn sich mit einem kräftigen American Bourbon versüßt?« Jodekain lachte dröhnend.
»Ich bin nicht Zamuel«, sagte Gral irritiert. »Ich bin Gral. Zamuel ist …« Er stockte. »Direktor Zamuel ist einem Unfall zum Opfer gefallen. Ich bin der neue SD-Direktor von …«
Jodekain klopfte ihm jovial auf die Schulter.
»Kommen Sie, Zamuel«, brummte der General unbeeindruckt von Grals Worten. »Gehen wir ins Haus. Der Kanzler wird sich freuen. Sie wiederzusehen. Es ist schon verdammt lange her, seit wir zum letzten Mal Besuch aus den Staaten empfangen haben. Sie machen sich rar. Zuviel Ärger mit den Roten, wie?« Jodekain lachte erneut. »Wie geht’s Mr. President? Laboriert er noch immer an seinem Magengeschwür?«
Gral warf Terjung einen hilfesuchenden Blick zu, doch der Söldner beobachtete die verwahrlost wirkenden Soldaten, die sich mit neugierigem und bewunderndem Gemurmel um den Panzerwagen drängten.
Jodekain, dachte Gral stirnrunzelnd, ist zweifellos noch verrückter, als ich angenommen habe. Jesus, wie ist Zamuel nur mit ihm zurechtgekommen? Und was hat er ihm erzählt?
Jodekain hatte Grals Arm mit einem freundschaftlich gemeinten, eisernen Griff gepackt und zerrte den Direktor halb über den grauen Betonplatz. Zur rechten Seite entdeckte Gral ein halbes Dutzend altmodischer, strahlensicherer Schützenpanzer und eine Anzahl mobiler Raketenwerfer und mit Maschinengewehren ausgerüsteter Jeeps.
Alles machte einen heruntergekommenen, veralteten Eindruck, und das Gefühl, ein Gespensterreich betreten zu haben, wurde in Gral immer stärker.
Sie näherten sich einem flachen, fensterlosen Betonquader, dessen kahle Fassade lediglich von dem hellen Viereck einer geöffneten Tür durchbrochen wurde.
Das mußte – falls die Berichte zutrafen, die Gral den Dateien Eurochems entnommen hatte – der Eingang zum unterirdischen Bunkersystem sein, zur Kanzlerfestung.
»Wir haben noch andere Gäste hier«, plauderte Jodekain ungezwungen weiter. »Unter anderem die britische Premierministerin. Sie kennen sie, Zamuel. Dieses Weib hat Sie beim letzten Mal doch glatt unter den Tisch gesoffen.« Der General zwinkerte und stimmte wieder sein polterndes Gelächter an.
»Die britische Premierministerin?« echote Gral, der noch immer um seine Beherrschung kämpfte. Dankbar registrierte er, daß ihm Terjung folgte. »Ricky«, brummte der General. »Sagen Sie bloß, Sie haben ihren Namen vergessen, Zamuel?«
»Ricky«, stieß Gral hervor. »Ja, natürlich. Ricky.« Jodekain schüttelte ihn und deutete auf den Eingang des Betonquaders.
»Da, Zamuel«, polterte der General. »Da ist sie ja! Die britische Premierministerin.«
Gral keuchte.
Er glaubte seinen Augen nicht zu trauen. Im Türrahmen – schlank, groß, spöttisch und arrogant lächelnd, das Haar so kurz, daß es fast wie eine eng anliegende Kappe wirkte – stand Ricarda Fantrinelli, Direktorin der
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