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Die Terranauten TB 04 - Zeitfenster

Die Terranauten TB 04 - Zeitfenster

Titel: Die Terranauten TB 04 - Zeitfenster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Quint
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Abteilung Öffentlichkeitsarbeit im Eurochem-Konzern.

IV
Die Kanzlerfestung
    Gral wußte nicht, wie tief die Kanzlerfestung unter der Erde lag. Die Liftkabine war undurchsichtig, und es gab keine Schalttafel, die die Anzahl der Stockwerke verriet. Doch anhand des ungewöhnlich lange dauernden Sturzes schloß er, daß sich das eigentliche Bunkersystem in hundert oder gar zweihundert Meter Tiefe befinden mußte.
    Atombombensicher, dachte Gral.
    Jetzt stand er in der großen, hohen Festhalle, deren großzügige Architektur und raffinierte Illumination vergessen machte, daß Tonnen von Stahl und Gestein über ihm lasteten.
    Gral verwünschte den General.
    Jodekains ständiger Redestrom im Aufzug hatte verhindert, daß er Ricarda Fantrinelli um eine Erklärung für ihren Aufenthalt in Bonn bat, und inzwischen hatte sich die schlanke Frau bereits unter die anderen Gäste gemischt und sich seinen Blicken entzogen.
    Gral ballte die Fäuste.
    Dieser Spott, dieser Hohn! dachte er zornig. Sie hat mich ausgelacht. Innerlich hat sie mich ausgelacht, weil sie mich für einen ausgewachsenen Trottel hält. Für einen Niemand, der nur durch die Gnade Dauns SD-Direktor geworden ist, ohne auch nur zu ahnen, was wirklich in Eurochem vorgeht. In Eurochem und hier, in der Festung des Kanzlers.
    Ein livrierter, starr dreinschauender Kellner näherte sich Gral und Terjung mit einem Tablett, und nach einem kurzen Zögern griff Gral nach einem Cocktail. Terjung nahm nichts.
    Gral nippte an der süßlichen, orangefarbenen Flüssigkeit – Teufel, was ist das für ein Zeug? –, musterte die anderen Gäste, die scheinbar ziellos hin und her flanierten und nur ab und zu verharrten, sich zu kleinen Gruppen zusammenfanden, die ebenso schnell wieder auseinanderbrachen, wie sie sich gebildet hatten.
    Eine Cocktailparty wie jede andere.
    Und gleichzeitig fremd, bizarr, absurd.
    Was hat das alles zu bedeuten? fragte sich Gral verwirrt. Was will Ricarda hier? Und Jodekain … Dieser arme Irre – was hat er mit Engramm-3 zu tun? Was ist Engramm-3?
    Ich werde es erfahren. Gott steh mir bei, ich werde es erfahren, und wenn ich es aus diesem verrückten General herausprügeln muß!
    Die meisten der Anwesenden waren Gral fremd. Und jene, die er erkannte, verstärkten seine Verwirrung noch.
    Dort – dieser kleine, dünne, an einen mürrischen Zwerg erinnernde Bursche, der eine viel zu weite, bodenlange Tunika trug und mit hektischer Betriebsamkeit durch die verwinkelte Halle huschte. Kaum war er in den Fluten des polarisierten Lichtes verschwunden, die den großen Raum in zahlreiche Segmente und Nischen unterteilten, tauchte er auch schon wieder auf. Sein eingefallenes Gesicht besaß die Physiognomie eines Raubvogels.
    Ein Raubvogel, durchfuhr es Gral. Das trifft genau zu. Vater Theosos, Prediger der Letzten Tage und Oberster Hirte der Erweckungsgemeinde, ist tatsächlich ein Raubvogel. Nur der Teufel weiß, wieviel Anhänger seine Sekte inzwischen zählt, und selbst dem Eurochem-SD ist es nicht gelungen, V-Männer in diese militante religiöse Gruppe einzuschleusen.
    Gral gab Terjung mit einem knappen Wink zu verstehen, daß er sich ein wenig umsehen wollte, und schlenderte dann mit demonstrativer Gelassenheit durch die schwatzende, kichernde, trinkende Menge.
    Leise Hintergrundmusik erklang; eine disharmonische Folge offenbar wahllos zusammengewürfelter Töne, die durch Verzerrer, Echohall, Equalizer und weit raffiniertere technische Geräte sphärische Dimension erreichten.
    Gral empfand Unbehagen und versuchte, seine Ohren vor der Musik – Musik, pah! dachte er – zu verschließen, aber sie schien direkt auf sein vegetatives Nervensystem zu wirken. Erregung wechselte ab mit milder Zufriedenheit, der leiser Zorn folgte.
    Die Luft war dick und neblig vom Rauch vieler Zigaretten, und an einigen Stellen mischte sich süßer Duft in das Tabakaroma.
    Gral blieb überrascht stehen.
    Kanzler Egbert – ein aufgeschwemmter, kahlköpfiger Mann mit hervorquellenden Augen und einer teigigen Gesichtsfarbe – saß im Schneidersitz auf einem gepolsterten Hocker und hörte einer untersetzten, stämmigen, grauhaarigen Frau zu, die jedes ihrer Worte mit eckigen Gesten unterstrich.
    Sarah Maria Sartig, durchfuhr es Gral. Die blutige Sarah, die Führerin der Pangermanischen Bewegung, die vor allem in Norddeutschland, an der Peripherie der überschwemmten Küstenstädte und in den Flüchtlingslagern, mehr Macht besitzt als Eurochem oder einer der anderen Konzerne!

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