Die Terranauten TB 04 - Zeitfenster
hielt an, und sie trennten sich. Nur zögernd betrat Gral Zamuels Büro – das jetzt ihm gehörte. Sid Herbshire sprang auf, als er ihn bemerkte. Sein gebräuntes Gesicht war maskenhaft starr.
Gral wußte, daß Herbshire Zamuel persönlich verbunden gewesen war. Er verstand den Referenten. Obwohl er den toten SD-Direktor oftmals zum Teufel gewünscht hatte, waren auch sie sich einander nähergekommen. Zamuel war ein Bastard gewesen, aber ein sympathischer Bastard.
»Herr Direktor«, murmelte Herbshire.
Gral überflog mit einem kurzen, uninteressierten Blick die Terminals, die das Vorzimmer zum größten Teil ausfüllten, den Schreibtisch mit der Intercom- und Telefaxanlage, den rückwärtigen großen Monitor und die Sitzgruppe in der Ecke, die halb von einigen mannshohen Gewächsen verdeckt wurde.
»Ist sie da?« fragte Gral heiser.
Herbshire deutete auf die Tür zu Grals Büro. »Seit fünfzehn Minuten.«
Gral schnaufte. »Ich wünsche bis auf weiteres nicht gestört zu werden«, knurrte er.
Herbshire sagte nichts. Er nickte und ließ sich wieder langsam an seinem Schreibtisch nieder.
Er weiß Bescheid, durchfuhr es Gral finster. Himmel und Hölle, dieser junge Schnösel weiß Bescheid. Vielleicht ist der ganze SD informiert. Was werden sie denken?
Er bewegte mürrisch den Kopf. Unsinn! dachte er. Bis auf Daun ahnt niemand etwas davon, daß Sylke Terza Zamuels Frau gewesen ist. Und vermutlich wird sie auch niemand wiedererkennen. Sie ist älter geworden. Und das, was ihr in der Akademie angetan wurde, hat sie verändert.
Gral holte Luft, durchschritt den Raum und stellte befriedigt fest, daß die Tür bereits auf sein ID-Muster programmiert war; bei seinem Nahen öffnete sie sich automatisch.
Sylke Terza-Zamuel stand am Fenster und sah hinaus in das Schneetreiben. »Dennis hat mir oft von dem Ausblick erzählt«, sagte sie, ohne sich umzudrehen. »Bei klarem Wetter soll man kilometerweit sehen können. Stimmt das?«
Gral zuckte die Achseln. »Ich weiß es nicht«, murmelte er. »Ich ziehe es vor, die Fenster zu verdunkeln.«
Die blonde Frau warf ihm einen spöttischen Blick zu, und ihre körperliche Nähe ließ in Gral das alte, vertraute Verlangen aufwallen. Die Begierde, die ihn schon damals den Verstand geraubt hatte; damals, vor fast sieben Jahren auf seiner Inspektionsreise durch die syrischen Eurochem-Protektorate, als er ihr in Damaskus begegnet war. Er hatte nicht geahnt, daß sie zur Gegenspionage Eurochems gehörte und ganz bewußt die Geliebte des örtlichen General-Chemical-Managers gewesen war. Drei Tage hatte ihr Verhältnis gedauert, und danach war Gral weitergereist, nach Südafrika, ohne damit zu rechnen, sie jemals wiederzusehen. Erst nachträglich, durch eine zufällige Bemerkung Zamuels, hatte er von ihrer wahren Identität – und ihrem Schicksal in der Akademie – erfahren.
Und gestern war er ihr wieder begegnet. In der Stahlkammer.
Der Witwe Dennis Zamuels.
Irgendwie war sie von den Manipulationen der ESW-Akademie genesen.
Warum hat Zamuel sie geheiratet? fragte sich Gral. Warum einen Bettwärmer des Gegenspionage-Dezernats? Aus Gewissensbissen? Hat er sich schuldig gefühlt, weil er für Sylkes Überweisung an die Akademie verantwortlich war?
Sylke Terza verschränkte die Arme. Wie gestern trug sie eine halb durchsichtige Hose, die mit einem Hauch Königsblau getönt war. Dazu eine Bluse aus Emotiolan, jener synthetischen, quasi-lebendigen Faser aus den afrikanischen Eurochem-Werken, die auf die Stimmungsschwankungen der Trägerin reagierte und sich entsprechend verfärbte.
Jetzt war die tief ausgeschnittene Bluse, die Sylkes Brüste nur halb verhüllte, von einem matten Gold.
Gral kramte in seinem Gedächtnis. Gold stand für nervöse Erregung. Es erleichterte ihn. Also war sie nicht so kühl und beherrscht, wie sie tat. Doch warum trug sie ein derart verräterisches Kleidungsstück? Aus seelischem Exhibitionismus? Oder wollte sie ihn provozieren?
»Kommen wir zur Sache«, sagte Sylke und beendete das unbehagliche Schweigen. »Bringen wir es hinter uns. Einverstanden?«
Wie romantisch, dachte Gral. So habe ich mir meine Hochzeit immer vorgestellt.
Er trat an den breitflächigen, massiven Eichenholzschreibtisch und aktivierte das Terminal. Durch eine Kodeziffer wählte er die Personenstandsdatei des Eurochem-Personalcomputers an und programmierte eine Kennzahl.
Der Bildschirm wurde hell.
WIR GRATULIEREN IHNEN ZU IHREM ENTSCHLUSS, IN DEN STAND DER EHE ZU TRETEN.
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