Die Terranauten TB 08 - Die graue Spur
verschlungen und sie wieder loslassen müssen. Ich denke an den Friedhof der Ulema und an die strahlenden Kugeln in den Goldblüten, an die Egos der verschollenen Treiber, die von den Ulema zurückgeholt worden sind, und ich sage mir, daß Codette nicht völlig verloren ist. Wenn einer der Unglücklichen es verdient hat, von seinem erzwungenen Dasein als Banshee erlöst zu werden, dann Codette.
Menschen wie ich mögen bei lebendigem Leibe erfrieren; dies ist keine Frage der Gerechtigkeit, sondern eine Frage des Schicksals. Aber für Mädchen wie Codette dürfen die Gesetze des Schicksals nicht gelten, denn sonst hätte Cram recht, und sein Universum der Sinnentleertheit wäre die Welt, in der wir alle leben.
»Ich bin Codette«, sagte das zierliche Mädchen in dem hellgrünen Overall, der trotz seines engen Zuschnitts nichts von der Rundung ihrer Brüste enthüllte. »In einer halben Stunde gehen wir in den Transit. Kommen Sie, Lence, ich bringe Sie hinauf zur Logenplattform.«
Codette lächelte und ich erwiderte ihr Lächeln. Ich mochte sie sofort, und ich sah in ihren Augen, daß sie auch mich mochte. Ein Gefühl, daß ich seit langer Zeit nicht mehr genossen hatte, und Crams düstere Warnung verblaßte und entglitt meinen Gedanken. Es war nicht Codettes Schuld; ich sehnte mich so sehr nach ein wenig Zuneigung, daß ich alles andere vergaß, als ich sie erhielt.
Selbst als wir auf dem Weg zur Spiraltreppe, der Verbindung zwischen dem Kabinendeck und dem Computerring und der weiter oben gelegenen Logenplattform, Mandorla begegneten, wich der Zauber nicht. Im Gegenteil, Mandorla schien ihn noch zu verstärken.
Im Schneegestöber von Mandorlas Persönlichkeit wirkte Codette noch warmherziger und lebendiger als sonst. Mandorla war faszinierend in ihrer Unnahbarkeit, ihrer Geschmeidigkeit und der Glätte ihrer Fassade, die keine Rückschlüsse auf die Dinge unter der Oberfläche erlaubte, doch Codette war einfach sie selbst, und das war mehr als genug.
Codette erzählte mir von ihrem Leben, von Niryang, ihrem Heimatplaneten, einer dünnbesiedelten Agrarwelt in der 18. Stellaren Provinz; von riesigen gelben Weizenfeldern unter einem orangefarbenen Himmel; von dem Schrecken und anschließenden Stolz ihrer Eltern, als sie mit vier Jahren allein mit der Kraft ihrer Gedanken ihr Spielzeug in der Luft tanzen ließ; von den freundlichen Männern und Frauen aus dem All, mit denen sie stimmlos sprechen konnte und die sie mitnahmen zu einer fremden Welt namens Zoe, wo ihre PSI-Fähigkeiten weiter ausgebildet wurden. Als es zum Streik der Treiber, dem endgültigen Zerwürfnis mit dem Konzil der Konzerne und zum reichsweiten Aufstand der Terranauten kam, der mit der Zerstörung Zoes beantwortet wurde, schafften die Grauen sie wie Tausende anderer Treiber zu einem der Strafplaneten. Ihr PSI-Zentrum sollte operativ zerstört werden, doch da stellten die Ärzte fest, daß Codette ausbrannte, sich selbst verzehrte und binnen weniger Jahre sterben würde, und man schenkte ihr die Freiheit. Es war kein Gnadenakt. Hätte man sie operiert, wäre sie vor dem Ausbrennen und dem Tod bewahrt worden. Es war die Folge eines nüchternen Kosten-Nutzen-Denkens.
Warum die Kosten für eine Operation aufwenden, wenn Codette in Kürze ohnehin keine Gefahr mehr darstellte?
Die Grauen ließen sie frei, und sie ging nach Ginger und dann zu einem Planeten des Bundes der Freien Welten und gelangte so zu den Terranauten, denen sie sich sofort anschloß. Sie sprach nicht über die Gründe für diese Entscheidung, und sie sind auch unwichtig. Codette war Terranautin und nun an Bord der SIMON BOLIVAR.
Mandorla sagte die ganze Zeit kein Wort.
Sie hörte zu, nahm alles in sich auf, aber sie beteiligte sich nicht an unserem Gespräch.
»Wenn Sie durch eine Operation das Ausbrennen verhindern können«, wandte ich mich verwirrt an Codette, »warum tun Sie das nicht?«
Codette sah mich von der Seite an.
»Auf dem Strafplaneten«, antwortete sie, »wäre es noch möglich gewesen. Jetzt ist es zu spät. Selbst eine Beseitigung des PSI-Zentrums kann die Verbindung zwischen mir und dem Weltraum II nicht mehr unterbrechen. Machen Sie sich keine Gedanken wegen mir, Lence. Wenn es soweit ist, bleibt immer noch genügend Zeit, sich Sorgen zu machen.«
Wir hatten die Spiraltreppe erstiegen und betraten die Logenplattform. Codette ging davon.
»Sie verdrängt es«, bemerkte Mandorla plötzlich. »Sie weiß, daß sie sterben wird, aber sie glaubt es nicht.
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