Die Terranauten TB 08 - Die graue Spur
Überzeugungskraft, ihre innere Logik. »Wir sind hier, um mit Ihnen ein Geschäft abzuschließen. Große Graue. Wir sind bereit. Ihnen gegen eine adäquate Bezahlung insgesamt siebenhundert Misteln zu überlassen. Als Zeichen unseres guten Willens führen wir fünfzig Misteln bereits mit, die wir Ihnen sofort übergeben können. Unser Angebot steht. Es liegt an Ihnen, es zu akzeptieren oder abzulehnen.«
Ich nickte unwillkürlich.
Knapp, sachlich, auf das Wesentliche beschränkt. So mußte man mit den Grauen reden, um von ihnen als gleichwertiger Partner anerkannt zu werden.
Ich sah hinauf zu dem übergroßen Abbild Chan de Nouilles und versuchte, in ihrem Gesicht zu lesen. Ein Gesicht wie aus Elfenbein geschnitzt, unnahbar wie die fernen Sterne, undurchdringlich wie die Kohlenstoffwolke.
»Sie haben die Diirn gesehen, Cram?« sagte Chan de Nouille, ohne auf die Worte des Logenmeisters einzugehen, und ihre Stimme ließ Gänsehaut auf meinem Rücken entstehen. Sie klang kühl und war so ausdruckslos und seelenlos, wie man es von einer Grauen erwarten konnte. Aber unter dieser Monotonie hörte ich andere Dinge heraus. Einen Schrecken, wie man ihn nur zwischen den Sternen findet, wo selbst die besten Gefühle im Menschen zu etwas Häßlichem werden und die Düsternis Einzug in die Herzen hält und alles andere verdrängt. Neben dem Schrecken war da auch Zorn, hilflose Wut angesichts eines übermächtigen Schicksals, das alle Pläne und Absichten zunichte macht und vor dem es keine Flucht gibt, weil die anderen Wege versperrt sind und nur der vorgezeichnete Weg frei ist. Determinismus, das Glaubensbekenntnis der Depression, und ich fragte mich: Wie kann eine Graue deprimiert sein? Was geht hinter Chan de Nouilles kühler Fassade vor? Und wie kann sie Schrecken und Zorn empfinden, wo die Gehirnoperation sie doch vom Laster der Gefühle befreit hat? Kann sich eine Maschine fürchten? Kann eine Maschine zornig werden …? Ja, aber dafür muß sie ihr Maschinendasein aufgeben.
Dies war die Antwort, wußte ich plötzlich, und Claude Farrells prophetische Worte kamen mir wieder in den Sinn.
Wir müssen uns darüber im klaren sein, mit wem wir es da zu tun haben, Zatyr. Diese Grauen sind nicht mehr dieselben Graugardisten, die in den letzten Tagen das Sternenreiches von der Erde und aus dem Sonnensystem geflohen sind. Diese Grauen sind verzweifelt, obwohl die Verzweiflung ihnen fremd sein müßte, und sie haben Angst, obwohl kein Grauer Angst empfinden sollte. Sie sind völlig rationale Wesen und gleichzeitig verrückt vor Gram.
Farrell hatte recht gehabt.
Wir standen hier keinen Grauen gegenüber, keinen Menschmaschinen mit kalkulierbaren Reaktionen, sondern fremden Geschöpfen, Wesen wie von einem anderen Stern. Stück für Stück war ihr gesamtes Weltbild zusammengebrochen und hatte ihnen nicht einmal Ruinen hinterlassen. Haltlos taumelten sie durch ihr Leben, und jeder vermeintliche Schritt nach vorn warf sie noch weiter zurück. Die Grauen hatten zusehen müssen, wie das Konzil der Konzerne zerfiel, wie die alte Welt der Kasten in Schutt und Asche sank und den Grauen Garden damit als Söldnerorganisation den Boden unter den Füßen entzog. Und schlimmer noch, die Garden – den starren Richtlinien ihrer Konditionierung unterworfen – hatten diesen Prozeß aufhalten wollen und ihn dadurch nur beschleunigt. Niemand benötigte mehr die Dienste der Grauen Garden. Sie waren verhaßt, und um der Vernichtung zu entgehen, hatten sie fliehen müssen. Sie waren geflohen, so weit, daß die Entfernung sie zusätzlich von dem festen Grund ihrer Vergangenheit abschnitt. Der rationalen Rechtfertigung für ihre Existenz beraubt, hatten sie sich in sich selbst zurückgezogen, ihre Lebensberechtigung in dem selbsterschaffenen Mythos vom Hören und Gehorchen und dem Prinzip der Treue bis in den Tod gesucht. Doch der Tod, so stellte sich jetzt heraus, scherte sich nicht um Treue oder Verrat. Er holte die grauen Männer zu sich, zerstörte den Plan, der die Garden zur alten Größe zurückführen sollte, und verschonte aus unerforschlichen Gründen die Queens, die Kommandeusen der am explosiven Krebs zugrunde gegangenen Legionen.
Der Lebensinhalt war den Grauen genommen.
Die Konditionierung, durch die sie zur Elite wurden, erwies sich als tödliche Bedrohung.
Sie waren verfemt.
So war es kein Wunder, daß die überlebenden Grauen sich verändert hatten. Eine Veränderung, die sich am deutlichsten in Chan de Nouille abzeichnete,
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