Die Terranauten TB 10 - Der Sternenfänger
…
»Nicht, David!« ertönte Myriams Stimme wie aus weiter Ferne. »Es ist eine Falle. Eine Falle des Sternenfängers!«
Aber es war längst zu spät.
David terGorden löste sich von der zarten Gestalt der jungen Frau, und bei seinem nächsten Schritt hatte er das Gefühl, es ergösse sich eine Flutwelle aus Sonnenplasma in seinen Schädel.
Nur ein Traum innerhalb eines Traums?
David terGorden stand auf der Logenplattform eines Treiberraumschiffes. Die transparente Kuppel über ihm war geborsten, und das Vakuum des Weltraums hüllte die toten Treiber auf ihren Ruheliegen mit einem frostigen Leichentuch ein. Weit voraus schwamm ein blaugrüner Planet im Schwarz des Alls, und das Wrack stürzte darauf zu. Es würden jedoch Stunden vergehen, bevor es die äußersten Schichten der Atmosphäre berührte und schließlich verglühte.
»Das ist die Erde«, sagte die Gestalt ohne Gesicht neben David. Sie trug ebensowenig einen Schutzanzug wie er selbst. Aber David wunderte sich nicht darüber, daß das Vakuum weder ihm noch seinen Begleitern etwas anzuhaben vermochte. »Siehst du sie. Erbe der Macht? Einst war das die zentrale Welt eines großen Sternenreichs, das vom Konzil der Konzerne aufgebaut und beherrscht wurde. Schließlich dann verwandelte sich die Erde in ein Grünes Paradies. Und jetzt?« Der Gesichtslose lachte leise. »Was ist jetzt aus ihr geworden?«
Die Entfernung betrug noch mehr als fünfhunderttausend Kilometer, aber David konnte die Spuren des Untergangs trotzdem so deutlich erkennen, als stände er neben den Ruinen des Palastes seines Vaters auf Grönland. Die Bäume des planetenweiten Waldes starben. Es gab kein Manna mehr für die verhungernden Menschen. Duftende Orchideen verwandelten sich in tödliche Fallen, und die Terranauten, Mittler und Psychomechaniker fochten einen aussichtslosen Kampf.
Aus den Tiefen des interstellaren Weltraums drifteten die Schlieren großer Kaiserkraftkonglomerate heran. Sie beschleunigten die Entropie. Sonnen alterten und zerplatzten in energetischen Kataklysmen. Bewohnte Welten wurden von Eiszeiten und Hitzekatastrophen heimgesucht, die jeweils nur wenige Tage dauerten und alles Leben auslöschten. Treiberraumschiffe und Organsegler starteten von den betroffenen Planeten, und an Bord befanden sich Abertausende von Menschen, die dennoch dem endgültigen Tod nicht entfliehen konnten.
»Die Initialzündung ist erfolgt«, sagte der Gesichtslose. »Die Zweite Welt stirbt. Die Entropiekatastrophe breitet sich wellenförmig aus. Es wird nur noch wenige Monate dauern, und sie erfaßt den Kern der Milchstraße. Von dort aus wird sie überspringen auf andere Galaxien.«
David schüttelte entsetzt den Kopf.
»Nein«, kam es von seinen Lippen, und trotz des Vakuums hallten seine Worte von den Wänden wider. »Das kann nicht sein. Das darf nicht sein.«
Die gesichtslose Gestalt lachte leise. »Die Urbäume haben endgültig verloren. Erbe der Macht. Für die Zweite Welt gibt es keine Überlebenschance mehr. Sie wird vergehen in einem energetischen Chaos, dessen Ausmaße sich deiner Vorstellung entziehen. Aber es ist nicht das Ende allen Seins. Das Feuer des Untergangs gebärt den Dritten Kosmos, den wir nach unserem Willen gestalten können.«
David taumelte zurück, als ihn die Erkenntnis mit voller Wucht traf. Er starrte den Gesichtslosen groß an. »Wer bist du?«
Wieder lachte die Gestalt. Sie folgte seiner Rückzugsbewegung und kam langsam auf ihn zu. »Erkennst du mich denn nicht. Erbe der Macht?« fragte sie. »Hast du denn noch immer nicht begriffen?«
Etwas bewegte sich in den konturlosen Zügen: Falten formten sich, Lippen wuchsen, Augen bildeten sich heraus. Es dauerte nur wenige Sekunden, dann hatte David terGorden plötzlich das Gefühl, in einen Spiegel zu sehen. Der Gesichtslose war … er selbst.
Und die Gestalt streckte ihm die Hand entgegen. »Komm, David. Es hat doch keinen Zweck, wenn du versuchst, dich noch länger zur Wehr zu setzen. Widerstand ist nunmehr sinnlos geworden.«
Aber David – der echte David – schüttelte den Kopf, wirbelte um seine eigene Achse und ergriff die Flucht. Er kam nicht weit. Am Rande der Logenplattform stemmte sich seinen Armen und Beinen ein immaterielles Hindernis entgegen, und er hatte das Gefühl, in der Zeit eingefroren zu werden. Kurz darauf spürte er eine Berührung an der Schulter.
Sein Ebenbild sah ihn an. »Die Zeit ist gekommen, David. Auch ich bin ein Erbe der Macht, wie du. Sträube dich nicht
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