Die Terranauten TB 10 - Der Sternenfänger
im Boden unterhalb des markierten Kreises wachsenden Zweitkörper überschrieben.
Chagar spürte nichts davon. Er hatte nur das Gefühl einer angenehmen Ruhe, die sich in seinem Innern ausbreitete, und als das Prickeln und Brennen in seinem gealterten und verbrauchten Leib nachließ, entspannte er sich und öffnete seine psionischen Sinne. Die jungen Zellen des Zweitkörpers teilten sich und kopierten nun selbständig das psychisch-genetische Muster seiner analysierten Identitätsmatrix. Aus der organischen Masse – einem sogenannten »Golem«, der in der Brutkammer der Henschi entstand und bei dessen Produktion umfangreiche Sicherheitsmaßnahmen getroffen wurden – wurde der schmächtige und fragile Leib eines Sonnenarchitekten. Chagars mentale Augen blickten durch die transparente Haut, und seine sondierenden Gedanken überprüften die Nervenverbindungen der Organe, die Funktionsfähigkeit der Hirnwindungen, die zerebralen Interaktionen und viele andere Dinge mehr. Hier und dort fand er einen Zellenkomplex, in dem der DNS-Code geringfügige Abweichungen von dem seiner Identitätsmatrix aufwies; er korrigierte diese Übertragungs- und Wachstumsfehler. Nur er allein war dazu in der Lage. Ein normaler Sonnenarchitekt konnte nur in einem sehr geringen Maße überprüfen, ob der Transfer der Matrix absolut fehlerfrei vonstatten gegangen war. Ein anderer als Chagar mußte sich weitgehend auf das einwandfreie Funktionieren des jeweiligen Identifikators verlassen.
»Und genau das«, murmelte der Sternenfänger verächtlich, »ist auch der Grund, warum die anderen immer mehr degenerieren. Mit den nachfolgenden Übertragungen multiplizieren und potenzieren sich Fehler, bis schließlich ein Stadium ereicht wird, in dem der Schaden irreparabel geworden ist.« Die Folge waren verwachsene Körper, deformierte Psychen, entstellte Wünsche und Hoffnungen, Paranoia, schließlich vollständige geistige Umnachtung und mentales Siechtum.
Für einige wenige Sekunden wurde es schwarz vor den silbrig glänzenden Augen des Sternenfängers. Als er wieder sehen konnte, war er noch immer er selbst, bis in das kleinste Molekül und Atom seines Körpers. Er stand in dem markierten Kreis innerhalb des kristallenen Turms des Identifikators. Er sah an sich herab. Die transparente Haut seines Körpers war glatt und wies nicht eine einzige Falte oder Runzel auf. Die darunter sichtbaren Organe funktionierten bestens und offenbarten keine Schädigungen. Seine Gedanken und Empfindungen … sie waren so frisch wie ein kühler Morgen, so frisch wie die eines jungen Sonnenarchitekten, der noch ein langes Leben vor sich hatte.
Der Sternenfänger straffte seine Gestalt und verließ den Identifikator. Sein alter Körper war längst in einem Bodensegment verschwunden und wurde nun von den Systemen und Anlagen des Identifikators dem molekularen Zertrümmerer und Wiederaufbereiter zugefügt. Chagar betrachtete sich in einem Spiegel. Er sah einen Leib, der erst wieder in vielen Jahren zu altem beginnen mochte. Der überdimensional große Kopf mit Tausenden von grauweißen Hirnlamellen saß auf einem dünnen Hals. Die Arme waren ebenfalls zart und lang, und die Beine glichen zwei durchsichtige Stelzen. Die flexiblen Knochen des skelettenen Gerüstes bogen sich unter der Belastung.
»Wenn du mich nur so sehen könntest, Tramur«, flüsterte der Sternenfänger. »Ich brauche keinen Servo, kein Stützgerüst, um mich fortzubewegen.«
Ruckartig wandte er sich um und verließ die Kammer mit dem Identifikator. Er hatte den Vorfall an Bord des Sonnenschleppers, mit dem er hierher geflogen war, nicht vergessen. Es gab etwas zu tun. Es galt etwas zu erledigen, das er schon viel zu lange aufgeschoben hatte.
Mit langen Schritten eilte Chagar durch große Säle, in denen Abzapfer ihr ewiges Lied summten und die Energien einer ganzen Sonne verwalteten. Kleinere Autarke Elektronische Einheiten hasteten auf Stelzenbeinen oder Rollen oder Ergpolstern umher, verbanden sich mit bestimmten Aggregatblöcken und kontrollierten mit niemals nachlassender mechanischer Wachsamkeit die internen Systeme des solaren Heims des Sternenfängers. Er wanderte durch stille Zimmer und halbdunkle Räume. Innerhalb von energetischen Möbiusschleifen, die das normale Gefüge der Raum-Zeit gewissermaßen mit Strukturnischen versahen, lagen einige hundert Misteln und Knospen von Urbäumen. Chagar schenkte ihnen nur kurze Seitenblicke. Die pflanzlichen Sporen würden dann zu neuem Leben
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