Die Terroristen
und ohne es besonders begründen zu können, finde ich trotzdem, dass du hättest ablehnen sollen. Rein gefühlsmäßig. Gefühle kann man schwer analysieren. Wahrscheinlich empfinde ich so: Unsere Regierung, die behauptet, das Volk zu vertreten, lädt einen berüchtigten Reaktionär ein, der sogar hätte Präsident werden können. Wäre er das geworden, hätten wir jetzt wahrscheinlich einen 3. Weltkrieg. Trotz alledem soll er wie ein geehrter Gast empfangen werden. Unsere Ministerrunde mit dem Regierungschef an der Spitze soll sich mit ihm zusammensetzen und höflich über Depression und Ölpreise sprechen und ihm versichern, dass das alte gute neutrale Schweden immer noch das gleiche feste Bollwerk gegen den Kommunismus ist. Er wird zu einem scheißvornehmen Diner eingeladen und darf die so genannte Opposition treffen, die die gleichen kapitalistischen Interessen wie die Regierung vertritt, nur ein wenig offener formuliert. Dann soll er mit unserem eingeschneiten Marionettenkönig zu Mittag essen. Und die ganze Zeit hindurch soll er so verdammt sorgfältig beschützt werden, dass er vermutlich nicht einen einzigen Demonstranten sieht und nicht einmal andeutungsweise zu hören bekommt, dass es einen Widerstand gibt, sofern die Sicherheitspolizei oder die CIA ihm gegenüber nichts davon erwähnt. Als einziges wird er bemerken, dass Calle Hermansson, der Führer der Kommunisten, nicht zum Galaessen erscheint.«
»Da irrst du dich. Alle Demonstranten sollen auf Sichtweite an ihn herangelassen werden.«
»Wenn die Regierung nicht bange wird und dir in den Rücken fällt, ja. Was willst du denn machen, wenn der Regierungschef plötzlich anruft und befiehlt, dass alle Demonstranten ins Räsundastadion transportiert und dort festgehalten werden sollen?«
»Dann trete ich ganz sicher zurück.«
Sie sah ihn lange an. Sass da, das Kinn auf die heraufgezogenen Knie gestützt und die Hände um die Knöchel gefaltet. Ihr Haar war nach dem Saunabad und der Dusche zerzaust und ihre unregelmäßigen Züge nachdenklich.
Er dachte, wie schön sie doch ist.
Schließlich sagte sie:
»Du bist prima, Martin. Aber du hast einen fürchterlichen Beruf. Was sind das für Menschen, die du wegen Mordes oder anderer Verbrechen festnimmst? Wie kürzlich erst? Ein aus der Bahn geworfener Arbeiter, der versuchte, gegen ein kapitalistisches Schwein zurückzuschlagen, das sein Leben zerstört hatte? Was bekommt der für eine Strafe?«
»Zwölf Jahre, schätzungsweise.«
»Zwölf Jahre, ja, das war ihm die Sache vielleicht wert.«
Sie sah nicht sehr froh aus. Dann wechselte sie das Thema, abrupt, wie es ihre Art war.
»Die Kinder sind bei Sara, eine Treppe höher. Du kannst also schlafen, ohne dass sie auf deinem Bauch herumhüpfen. Dagegen werde ich vielleicht auf dich treten, wenn ich mich hinlege.«
Es geschah nicht selten, dass sie erst zu Bett -ging, wenn er bereits eingeschlafen war. Und nun begann sie wieder von etwas anderem:
»Ich hoffe, dir ist bewusst, dass dieser hoch geehrte Gast Tausende von Menschenleben auf dem Gewissen hat. Er war einer der Aktivsten hinter den strategischen Bombardements auf Nordvietnam. Und er war bereits beim Koreakrieg dabei und unterstützte McArthur, als der Atombomben auf China werfen lassen wollte.«
Martin Beck nickte. »Ich weiß.«
Dann gähnte er.
»Geh jetzt und leg dich hin«, forderte sie ihn mit Nachdruck auf. »Du bekommst Frühstück, wenn du aufwachst. Wann soll ich dich wecken?«
»Um sieben.«
»Okay.«
Martin Beck ging und legte sich hin und schlief beinahe sofort ein.
Rhea räumte noch eine Weile in der Küche auf. Dann ging sie ins Schlafzimmer und küsste ihn auf die Stirn. Er reagierte überhaupt nicht.
Es war warm in der Wohnung, deshalb zog sie den Pullover aus, kuschelte sich in ihren Lieblingssessel und las eine Weile. Sie hatte Schwierigkeiten mit dem Schlafen und war häufig bis in die frühen Morgenstunden hinein wach. Schlaflosigkeit ist ein irritierendes Übel, das oft zu labilem Temperament und unberechenbaren Launen führt. Früher hatte sie versucht, die Schwierigkeiten mit Rotwein zu beheben, aber jetzt machte sie aus der Not eine Tugend und las viele langweilige Kompendien und Ähnliches in den Nächten.
Rhea Nielsen war neugierig, meistens auf eine sehr offenherzige Weise. Als sie einen Aufsatz über Personenuntersuchungen, den sie selbst einige Jahre vorher geschrieben hatte, durchgelesen hatte, fiel ihr Blick auf Martin Becks Aktentasche.
Ohne lange
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